Verantwortungsvolle Aufgabe:Hüter der Grenzen

Suchen, graben und markieren: Feldgeschworene wie Johann Mayer in Hebertshausen pflegen eine jahrhundertealte Tradition. Die Ehrenamtlichen arbeiten bei Grundstücksvermessungen mit und vermitteln zwischen Behörde und Bürger

Von Petra Schafflik, Hebertshausen

Feldgeschworener

"Wir haben eine verantwortungsvolle Aufgabe": Johann Mayer ist einer von vier Feldgeschworenen in Hebertshausen, die bei Vermessungsarbeiten ein Vertrauensmann für die Bürger sind.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Unter dem dicht wuchernden Efeu am Gartenzaun müsste es zu finden sein, das alte Meißel-Zeichen, das die Grundstücksgrenze markiert. Also holt Feldgeschworener Johann Mayer den Spaten, um das Mauerwerk vom Gestrüpp zu befreien. Dann schabt Vermessungssekretär Franz Kloiber vorsichtig mit einem alten Suppenlöffel restliches Erdreich vom Stein. Doch alles Kratzen und Wischen hilft nichts, die ursprüngliche Grenzmarkierung ist offenbar über die Jahre unter einer Lage Mauerputz verschwunden. Kein Problem, wenige Meter weiter liegt der nächste Grenzpunkt, der schnell zu finden ist. Die Vermessung von Grundstücken ist immer noch viel Handarbeit, auch wenn die Daten elektronisch erfasst werden. Gemeinsam werkeln bei jedem Einsatz die Mitarbeiter des Amts für Digitalisierung, Breitband und Vermessung mit ehrenamtlichen Feldgeschworenen. Als "Hüter der Grenzen", wie der Volksmund die Feldgeschworenen auch nennt, arbeiten in jeder Kreisgemeinde drei bis vier Männer. Sie pflegen damit eine Jahrhunderte alte Tradition, die wegen ihrer Bedeutung im vorigen Jahr sogar ins nationale Unesco-Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommenen wurde. Aber das älteste kommunale Ehrenamt in Bayern ist nicht schöner Brauch, sondern im Alltag lebendig und von praktischer Bedeutung. "Feldgeschworene kennen sich vor Ort aus, sind Vermittler zwischen Behörde und Bürger", betont Rupert Holzfurtner, Leiter des Amts für Digitalisierung, Breitband und Vermessung Dachau. "Unsere Mitwirkung bei der Vermessung schafft Vertrauen", sagt auch der Hebertshausener Feldgeschworene Johann Mayer.

Ein halber Tag ist gleich vorbei

Immer wenn im Dorf eine Vermessung ansteht, wird einer der vier Hebertshausener Feldgeschworenen hinzugerufen. Zeit muss man dann einplanen, erzählt der 66-jährige Mayer. Denn nach wie vor ist die sorgfältige Ermittlung und Erfassung der Vermessungsdaten eine durchaus aufwendige Sache. "Ein halber Tag ist gleich vorbei", sagt Mayer, der nun in wetterfester Kleidung und festem Schuhwerk im strömenden Regen steht und widerspenstige Zweige eines Forsythien-Strauchs beiseite drückt, damit die Messung gelingt. Viele Arbeitsschritte sind nötig, bevor eine Grundstückgrenze bestätigt oder neu festgelegt werden kann. Vor allem muss das Messgerät erst einmal anhand bekannter Referenzpunkte justiert werden. Diese alten Markierungen sind manchmal dünne Metallrohre, die unscheinbar, aber für die Fachleute leicht auffindbar in der Teerdecke von Fahrbahn oder Bürgersteig stecken.

Nicht selten aber wurden alte Vermessungspunkte oder Grenzsteine über die Jahre von Pflanzen überwuchert, von abrutschendem Erdreich überdeckt, vom Frost aus ihrer ursprünglichen Position verrückt. Dann heißt es suchen, graben und freilegen, bevor justiert und gemessen werden kann. Und das immer wieder aufs Neue, bis am Ende ein verlässlicher Grenzverlauf feststeht. Der wird dann im Gelände möglichst dauerhaft markiert. Nicht immer mit einem Grenzstein. In Hebertshausen entscheidet sich das Vermessungsteam von Gruppenleiter Markus Geißler gemeinsam mit dem Feldgeschworenen Mayer und dem Grundeigentümer für ein tief in den Untergrund eingeschlagenes Rohr, das stabil und dauerhaft die Grenze anzeigen wird. Johann Mayer marschiert los, um die Metallstange aus dem Auto zu holen.

Eine verantwortungsvolle Aufgabe

"Es ist Aufgabe des Feldgeschworenen, das notwendige Material für die Grenzmarkierung bereit zu stellen." Die Utensilien nimmt er vor jedem Einsatz aus dem gemeindlichen Bauhof mit. Zu den Aufgaben des Feldgeschworenen gehört es auch, die Grenzmarkierung in den Boden zu setzen. Weil es enorm viel Kraft braucht, ein 60 Zentimeter langes Rohr in den festen Untergrund zu hämmern, arbeitet Vermessungsassistent Stefan Papst ein wenig vor. Ein letztes Mal wird die Messung kontrolliert, dann die Kunststoffmarke platziert, die den amtlichen Grenzpunkt nun ausweist. Später, wenn alle Markierungen gesetzt sind, wird der Feldgeschworene das Vermessungsprotokoll unterzeichnen. "Schon eine verantwortungsvolle Aufgabe", sagt Johann Mayer, der sich als Ruheständler aus Interesse für dieses doch eher ungewöhnliche Ehrenamt gemeldet hat, als die Gemeinde 2015 einen Nachrücker für das vierköpfige Team der Feldgeschworenen suchte.

Die Aufgabe auf mehrere Schultern zu verteilen, wie es Tradition und nach wie vor üblich ist, macht in der Praxis Sinn. Denn Vermessungsarbeiten stehen nicht nur an, wenn ein Grundstück geteilt wird, vor Bauarbeiten die Grenze zuverlässig festgestellt werden soll oder etwa ein Erbe Sicherheit über die Lage seiner Fläche haben möchte. Auch eine neue Ortsdurchfahrt kann enorm viel Arbeit bedeuten, selbst wenn es vielleicht nur um wenige Zentimeter geht, die Fahrbahn oder Gehweg breiter werden. Denn sobald private Grundbesitzer auch nur kleinste Flächen für so ein Bauvorhaben abtreten, muss neu vermessen werden. "Egal, ob 30 Zentimeter oder 10 000 Quadratmeter, der Aufwand ist im Kern derselbe", sagt der Dachauer Amtsleiter Rupert Holzfurtner.

"Geheimsnisvoll ist daran nichts mehr"

In Hebertshausen hat Johann Mayer bisher Problemfälle oder gar strittige Einsätze nicht erlebt. Trotzdem bleibt das Amt des Feldgeschworenen aus seiner Sicht eine sinnvolle Tradition. Die eigentliche Vermessung erfolgt mit modernster Technik, doch dem Feldgeschworenen komme eine Rolle als Vermittler und Vertrauensmann für die Bürger zu. "Geheimnisvoll ist daran nichts mehr", sagt er mit Blick auf die historischen Hintergründe. Denn tatsächlich haben Feldgeschworene in früheren Zeiten die Lage der Grenzpunkte mit geheimen Zeichen markiert. Daran konnten die "Siebener" eindeutig erkennen, ob eine Grenze verändert wurde. Heute werden Vermessungsdaten digital gespeichert, zur Sicherheit auch in einer per Hand angefertigten Zeichnung dokumentiert. "Geheime Zeichen vergraben wir nicht mehr."

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