Unterricht für Asylbewerber:Zukunftspläne

51 junge Flüchtlinge lernen an der Dachauer Berufsschule Deutsch und werden auf eine Ausbildung vorbereitet. Sie erleben ihre Klassen als einen geschützten Raum und nehmen die Herausforderung gerne an

Von Anna-Sophia Lang, Dachau

Kai Bah sieht älter aus als 20. Er wirkt ernst, auch wenn er lächelt. Er schaut durch das nasse Fenster nach draußen, der Himmel ist grau und verhangen. Ob ihm das deutsche Winterwetter etwas ausmacht? "Ich versuche mich daran zu gewöhnen", sagt er und lacht. Ein bisschen Wehmut schwingt in seinem Lachen mit. Der junge Mann ist vor einem guten Jahr aus Sierra Leone geflohen. Seit September ist er Schüler in einer Flüchtlingsklasse an der Dachauer Berufsschule.

Seit dem neuen Schuljahr gibt es dort drei Klassen, in denen Asylbewerber und Flüchtlinge im berufsschulpflichtigen Alter unterrichtet werden. Im ersten Jahr lernen sie in der Vorklasse schwerpunktmäßig Deutsch, im darauf folgenden Berufsintegrationsjahr (BIJ) werden sie auf den Einstieg in die Berufsausbildung vorbereitet. Zwei neue Vorklassen haben im September mit dem Unterricht begonnen. Insgesamt 51 Schüler, die meisten stammen aus afrikanischen Ländern, werden nun unterrichtet. Im vergangenen Jahr waren es noch 16 gewesen. Viele wohnen in Dachau, andere in Röhrmoos, Schwabhausen, Markt Indersdorf und Hebertshausen.

Neuerungen gibt es auch bei der Finanzierung: Erstmals werden eine Vorklasse und die Klasse im BIJ vom Land Bayern und mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) mit je 37 500 Euro gefördert. Das Berufliche Fortbildungszentrum der Bayerischen Wirtschaft (BFZ) München ist nun Kooperationspartner der Berufsschule.

Ein Alleinstellungsmerkmal in Dachau ist die zweite Vorklasse, die es vergangenes Jahr zum ersten Mal gab. Sie wird ausschließlich durch Sponsorengelder der Volksbank Raiffeisenbank und der Stiftung Hubert-Beck von 10 000 Euro finanziert. Koordiniert wird die Zusammenarbeit vom Arbeitskreis Asyl und der Caritas. Insgesamt 22 Lehrer, inklusive DAZ-Lehrkräften (Deutsch als Zweitsprache) und Sozialpädagogen vom BFZ und der VHS Dachau, unterrichten nun die Klassen.

Neben dem Schwerpunkt Deutschunterricht werden in den beiden Vorklassen Inhalte aus den Bereichen EDV, Sport, Berufskunde und Wirtschaftskunde vermittelt. Als Teil der Berufskunde steht auch fachpraktischer Unterricht auf dem Stundenplan: Dort bekommen die Schüler Einblick in Schreinerei, Malerei, Gestaltung und Metalltechnik. "Damit wollen wir die Schüler überzeugen, dass eine Ausbildung zum Beispiel in diesen Berufen das Richtige für sie ist", sagt Marcus Karg, Lehrer und Koordinator der Flüchtlingsklassen. "Und wir versuchen ihnen klar zu machen, dass in diesen Bereichen Fachkräfte gesucht werden." Ein wichtiger Teil des Unterrichtskonzeptes für die Flüchtlingsklassen sind deshalb auch Unterrichtsgänge: Die Lehrer besuchen mit den Schülern Jobmessen oder machen Behördengänge, um sie mit dem fremden Umfeld vertraut zu machen.

Unterricht für Asylbewerber: In den Flüchtlingsklassen sind die Lehrer (hier Aishe Sultan-Demmer) mehr als nur Lehrer. Sie helfen den Schülern etwa auch bei Behördengängen.

In den Flüchtlingsklassen sind die Lehrer (hier Aishe Sultan-Demmer) mehr als nur Lehrer. Sie helfen den Schülern etwa auch bei Behördengängen.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Besonders im BIJ steht die Berufsorientierung auf dem Stundenplan. Neben drei Schultagen haben die Schüler zwei Praxistage. Großes Augenmerk liegt auf der Vermittlung von Praktika, um die sich die Sozialpädagogen des Teams kümmern. Dennoch: Die Sprachförderung bleibt das wichtigste Element, auch im BIJ, bei dessen Schülern "noch großer Bedarf" bestehe, so Karg. Denn trotz Fachwissens, das die Schüler an der Berufsschule erwerben, könne die darauffolgende Berufsausbildung an der Sprache scheitern.

"Die Lehrer sind hier mehr als nur Lehrer", sagt Karg. In der Berufsschule würden die jungen Menschen ernst genommen. Dort fühlten sie sich in Sicherheit und hätten Ansprechpartner, denen sie vertrauen können. "Hier befinden sie sich in einem geschützten Raum. Das haben die Schüler vielleicht lange nicht mehr erlebt." Es hängt wohl auch damit zusammen, dass die Schüler der Flüchtlingsklassen überdurchschnittlich engagiert und motiviert sind, wie Karg berichtet. Deutlich macht das auch der Andrang, der im Sommer während der Anmeldungszeit für die Berufsschule geherrscht hat. "Wir haben im Juli Auswahlgespräche mit allen Jugendlichen aus dem Landkreis geführt", erläutert Johannes Sommerer, Leiter der Berufsschule. Nicht alle haben einen Platz bekommen, die Warteliste für nächstes Jahr ist lang.

Kais Deutsch ist bemerkenswert gut. "Einen großen Unterschied" mache die Berufsschule, wenn er an seinen Alltag davor zurückdenke. Er habe schon viele neue Wörter gelernt. So wie "Traumberuf": "Willst du wissen, was mein Traumberuf ist?", fragt er. Zum einzigen Mal weicht der Anflug von Traurigkeit aus seinem Gesicht. Krankenpfleger würde er am liebsten werden. Nach der Schule hat er oft noch Deutschunterricht beim Helferkreis. Obwohl Lernen anstrengend ist, sagt Kai: "Das ist es wert." Der andere junge Mann, mit er sich einen Container teilt, hat keinen Platz an der Berufsschule bekommen. Jetzt steht er auf der Warteliste. "Nächstes Jahr", sagt Kai, "hoffentlich". Immer wieder sei sein Containernachbar deshalb ungewollt wütend auf ihn. Kai hat den ersten Schritt geschafft. Auf die Schule, seine Unterkunft in Röhrmoos, den Helferkreis und die Röhrmooser lässt er nichts kommen. Ob er gerne in Deutschland bleiben und arbeiten würde? Kai lächelt. Die Frage hat er schon erwartet. "Ja", sagt er, "ich würde mich sehr freuen, wenn ich die Chance bekäme". Auch die Antwort war zu erwarten. Was die Melancholie in Kais Blick bedeutet, kann man nur erahnen. Wie viele andere spricht auch er nicht darüber, was ihm in seinem Heimatland passiert ist.

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