Ungewöhnliches Musikprojekt:Hartz kommt von Herz

In Dachau hat sich ein Chor gegründet, in dem Arbeitslose mit Menschen aus Wohlfahrt und Verwaltung singen. Ihr Name: hearts-4-people-singers.

Matthias Pöls

"Bo-bo Ma-le, Shu-shu-maya", hallt es durch den Raum. Vor einem Jahr haben Sozialarbeiter und von Armut betroffene Menschen in der reichen Stadt Dachau einen Chor gegründet. Dieser Chor dürfte einer der ganz wenigen in Bayern sein. In München gibt es noch das Hartz-IV-Orchester. Hartz IV, damit wird häufig Armut oder Versagen assoziiert. Was dabei leicht vergessen wird, sind die Menschen dahinter.

Ungewöhnliches Musikprojekt: Gospelspezialist Simon Sugaray Son und Dirigentin Alexandra Fischer üben heftig mit dem Hearts-4-People-Chor.

Gospelspezialist Simon Sugaray Son und Dirigentin Alexandra Fischer üben heftig mit dem Hearts-4-People-Chor.

(Foto: npj)

Wir haben gemerkt, die Leute brauchen noch etwas anderes, um sich wertvoll zu fühlen", sagt Irmgard Wirthmüller vom Dachauer Caritas-Zentrum. Existenzsicherung finde nicht nur im Materiellen statt, Existenzsicherung braucht auch die Seele. Denn häufig seien von Armut betroffene Menschen auch gesellschaftlich ausgegrenzt. In diesem Chor soll nicht erkennbar sein, wer zu welcher Gruppe gehört. Er besteht zur Hälfte aus Mitarbeitern von Wohlfahrtsverbänden und Behörden wie Arge oder Arbeitsamt. Auch damit sollen Vorurteile abgebaut werden. Menschen können aus verschiedensten Gründen von Armut betroffen sein. "Es reicht manchmal schon, wenn jemand alleinerziehend ist und der Ex-Partner keinen Unterhalt zahlen kann", sagt Wirthmüller.

Hermann Ackermann steht mitten unter den etwa 20 Hearts-4-people-singers. Das Lied "Bobo Male" bewegt ihn besonders. "Dabei muss ich immer an meine beiden Kinder denken", sagt der 63-Jährige. Schon lange hat er sie nicht mehr gesehen. Weiß nicht einmal genau, wo sie wohnen. Im gemeinsamen Chorsingen hat er ein neues Zuhause gefunden. Geist ziehe in den Körper ein und bringe ihn zum Tanzen, heißt der Text übersetzt. Die beiden Chorleiter versetzen die Gruppe immer wieder in Schwung, lassen die Sänger die Musik fühlen. Der bekannte Gospelspezialist Simon Sugaray Son schnippst mit den Fingern, gibt den Takt vor. Er wippt von einem Bein auf das andere, singt impulsiv. Das steckt an, alle Sänger bewegen sich im Takt. Gospelstimmung steigt im Raum auf. Die Stimmen erheben sich, werden kräftiger. Immer wieder huscht ein Lächeln über die Gesichter.

Das gemeinsame Singen lässt für einen Moment die Tristesse von Hartz IV, Armut oder Einsamkeit vergessen. "Wir wollten den Menschen in einem anderen Rahmen begegnen", erklärt Irmgard Wirthmüller vom Dachauer Caritas-Zentrum. Im Chor sprechen sich alle beim Vornamen an. Sie treffen sich nicht nur am Schreibtisch und reden über die finanzielle Notsituation. Schuldner und Berater begegnen sich auf Augenhöhe und singen gemeinsam.

Ein Quartett initiierte den Chor im Oktober 2010: Die Caritas Mitarbeiterinnen Irmgard Wirthmüller, Susanne Frölian, Birke Siebenbürgen und der Pianist Markus Roth. Er arbeitet bei der Stadtverwaltung in der Abteilung Obdachlosigkeit. Seitdem proben die Sänger alle zwei Wochen für ihren großen Auftritt am 30. Oktober in der Sankt-Jakob-Kirche in Dachau. Nur noch einmal werden sie vorher üben können. Doch von Aufregung ist wenig zu spüren. Für diesen Chor ist das gemeinsame Singen bereits die schönste Zeit. "Schickts Eich, schickts eich" singt der Chor mehrstimmig. Leiterin Alexandra Fischer dirigiert die wechselnden Einsätze. Die Musikpädagogin und Musicalsängerin bringt die Sänger allein mit den Augen auf den richtigen Ton. Ein wenig weiter gehobene Lider und die Stimmen heben sich. Ein kurzes Nicken: So passt es.

Der Chor soll nach dem großen Auftritt auch nicht einfach aufgelöst werden. "Wir besprechen danach, ob wir weiter zusammen singen", erklärt Wirthmüller. Mit den Spendeneinnahmen aus ihrem Abschlusskonzert wollen die Hearts-4-people-singers ein neues Projekt starten: Musik für Kinder, die von Armut betroffen sind.

Hearts-4-people-singers: Konzert, Sonntag, 30. Oktober, Sankt Jakob, Dachau Beginn 16.30 Uhr.

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