Trilogie:Ein bayerisches Schicksal

Wolfgang Henkel beendet seine Trilogie über die Räuberfamilie Kneißl-Pascolini mit der Theatergruppe in Altomünster. Die Geschichte über die innere Zerrissenheit der Therese und deren Verlorenheit ist die beste von allen dreien geworden.

Von Dorothea Friedrich, Altomünster

"Was die Liab aus einem macht", sagt Polizist Schweiger, bevor er kopfschüttelnd den Herrn Komissär, von dem noch die Rede sein wird, seinem traurigen Schicksal überlässt. Fügt man den berühmten Ausspruch des bayerischen Anarcho-Multitalents Herbert Achternbusch hinzu: "Du hast keine Chance, aber nutze sie", hat man fast schon die Quintessenz des jüngsten Stücks "Schachenmühle" von Autor, Regisseur und Schauspieler Wolfgang Henkel.

"Das verlorene Leben der Therese Kneißl" ist der dritte Teil einer Reihe, die Henkel für die Theatergruppe Altomünster geschrieben hat. In der einst real existierenden Schachenmühle hat Therese Kneißl, geborene Pascolini, mit ihrer Familie tatsächlich gewohnt, nachdem sie Unterweikertshofen fluchtartig verlassen hatten. Auch die Handlung beruht zum Teil auf wahren Begebenheiten. "Ein weiteres Stück Hinterland", lautet der Untertitel.

Nach "Räuber Kneißl" (2002) und Paschkalini (2011) beschäftigt sich Henkel mit der Mutter des verehrt-gefürchteten Matthias Kneißl und dem bis heute ungeklärten Mord an dessen Onkel Johann Pascolini, dem Bruder von Therese. Henkel zeichnet das Bild einer Frau, die einerseits von der Gier nach Liebe und Zuwendung getrieben ist und andererseits geradezu verzweifelt versucht, die längst berüchtigte Familie vor dem endgültigen Sturz in den sozialen und kriminellen Abgrund zu bewahren. Ihr bleibt angesichts der Lebensumstände kaum ein anderer Weg, als sich zu prostituieren. ("Eine Frau in diesen Zeiten hat kein Recht und auch keine Zeit für die Liebe.") Dadurch bringt Therese Geld in die Familienkasse.

Trilogie: Stephanie Kreppold als Therese Kneißl, steht im Mittelpunkt des Stücks über eine Frau, die sich im Kampf gegen die Not Moral nicht leisten kann.

Stephanie Kreppold als Therese Kneißl, steht im Mittelpunkt des Stücks über eine Frau, die sich im Kampf gegen die Not Moral nicht leisten kann.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Was aber ist mit ihr? Stephanie Kreppold spielt sehr überzeugend und sehr nachvollziehbar diese zerrissene Frau, lässt Therese einmal beinhart gegenüber dem Leben, dann wieder leidenschaftlich-lustvoll reden und handeln. Eine tolle Leistung, der die übrigen Mitwirkenden der Theatergruppe Altomünster in nichts nachstehen. Mehr als zwanzig hoch motivierte Darsteller, dazu die beiden Pferde Liesel und Max sowie die Pipinsrieder Musikanten füllen die zwanzig Bilder von "Schachenmühle" mit blut- und glutvollem, prallem bayerischem Leben.

Geht es doch vordergründig um die geradezu besessene Suche des pensionierten Kommissärs Hieronymus Lugmair (Wolfgang Henkel) nach dem Mörder von Thereses Bruder Johann (Thomas Koppold als Shakespearehafter Geist). Dieses Vorhaben bringt eine Lawine ins Rollen, die letztlich alles und jeden unter sich begräbt. Thereses Mann Matthias Kneißl (Alto Oswald als grobschlächtiger, aufbrausender Mensch, der seine Gefühle zu gut verstecken kann) lässt sich in die dunklen Geschäfte seiner Frau hineinziehen und wird letztendlich von Gendarmen zu Tode geprügelt. Matthias, der Bub mit künftiger Räuberkarriere, (Alexander Schmoranz als junger Mensch am Scheideweg) versucht mit allen Mitteln, seinen waffennärrischen Bruder Alois (Stephan Reisner) vom sinnlosen Geballere auf Mensch und Vieh abzuhalten und will nach dem Tod des Vaters die Familie zusammenhalten. Ihre Schwester Katharina (eine zarte, fast duldsame Pia Obeser) ist die gehorsame Tochter. Sie wird von der Mutter zugleich getriezt und beschützt. Und sie wird die einzige sein, die (wie die echte Katharina) nie mit dem Gesetz in Konflikt kommt.

Trilogie: Die Bühne der Theatergruppe Altomünster auf der Wiese hinter dem Kapplerbräu ist ein überdimensionales Puppen-Bauernhaus mit mehrere Spielebenen.

Die Bühne der Theatergruppe Altomünster auf der Wiese hinter dem Kapplerbräu ist ein überdimensionales Puppen-Bauernhaus mit mehrere Spielebenen.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Die beiden Halunken Lazlo (unwiderstehlich ungarisch-charmant und witzig: Marcus Gottfried) und Ferdl (Michael Riedl als Taugenichts aus Überzeugung und eifersüchtiger Möchtegern-Lover) bilden mit Gold-Nannerl (Marina Hörmann als ausgefuchste Städterin, die auf dem Land ziemlich verloren ist) eine unheilige Drei-Uneinigkeit. Nannerl tändelt mit den beiden Burschen, ist im Nebenberuf Polizeispitzelin - und stirbt einen im Wortsinn bühnenreifen Theatertod.

Der Kommissär schließlich verliebt sich in Therese Kneißl. Das wird sein moralischer Untergang. Denn obwohl er den Mörder findet: Therese pfeift auf ihn und zwar in den gröbsten Tönen. Aber vielleicht ist ja ihr letztes Kind von ihm. Das bleibt im Ungewissen, bleibt der Spekulation der Zuschauer überlassen, genauso wie die Frage, ob Therese für ihren viel älteren Bruder Johann mehr als nur Geschwisterliebe empfunden hat. Genau darin liegt eine der Stärken von "Schachenmühle". Henkel zeichnet seine Charaktere mit Respekt, mit vielen Facetten. Das macht sie so lebendig. So lebendig wie das ganze Stück durch die kurzen, fast schlaglichtartigen Szenen wird.

Trilogie: Stephan Reisner spielt den Sohn Alois.

Stephan Reisner spielt den Sohn Alois.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

So geben sich in der detailverliebten, aufwendigen zweistöckigen Kulisse mit Küche, Gaststube, häufig benutztem Bett und Kammer geschäftstüchtige und geile Bauern, ein irrlichternder Schäfer (hinreißend: Michael Heine, Martin Haber und Norbert Rogge), zwielichtiges Gesindel, die Familie Kneißl und die Obrigkeit (Christian Chymyn als geradezu väterlich besorgter Gendarmerievorsteher Gößwein) und ein gar nicht christlich handelnder Pfarrer (Michael Schmitz als arroganter Kirchenmann) die Klinke in die Hand.

Die Treppe zum Kapplersaal wird zur zweiten Bühne. Augen und Ohren müssen auf volle Power gehen, um den Geschehnissen, den lauten und den Zwischentönen zu folgen. Was sich da entfaltet, ist barockes Theater und Seelendrama, ist feinsinnig gesponnen und lustvoll umgesetzt. Es ist ein Spektakel für die Sinne, zeitlos und zugleich aktuell. Kurz gesagt: Es ist mit das Beste, was Wolfgang Henkel bisher geschrieben und was die Theatergruppe auf die Bühne gebracht hat. Es darf gelacht werden, es darf mitgezittert werden (nicht nur, weil die Temperaturen an einen milden Winterabend erinnern), es darf mitgelitten werden. Und immer wieder stellt sich bei dieser gelungenen Mischung aus Fakten und Fiktion die Frage: Was wäre, wenn?

Wenn zum Beispiel die Pascolinis/Kneißls heute leben würden? Hätten sie eine Chance und wäre aus Therese vielleicht sogar eine Power-Karrierefrau geworden? Wer Antworten finden will, sollte sich "Schachenhof" ansehen - und unbedingt die gelungenen Kreationen der Theaterküche kosten. Beides könnte zur Leibspeise werden.

Weitere Vorstellungen auf der Freilichtbühne hinter dem Kapplerbräu gibt es von Freitag bis Sonntag, 26. bis 28. Juni, und 3. bis 5. Juli sowie am Samstag, 11. Juli, jeweils von 20 Uhr an.

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