Tierheim Dachau:Asyl für Exoten

Das Känguru Linus ist nur ein Fall von vielen im Tierheim Dachau, das seit vielen Jahren Reptilien, Schlangen aller Art oder Vögel aus fernen Ländern aufnehmen muss.

Von Gregor Schiegl

Sonnensittich

Der Sonnensittich kann von seinem Besitzer im Dachauer Tierheim abgeholt werden.

(Foto: Marisa Segadelli (oh))

Linus wird von der Öffentlichkeit abgeschirmt. Keine Fotos. Kein Besuch. Kein Stress. Das kleine Känguru wird gerade in einer Pflegestation aufgepäppelt und soll sich in Ruhe erholen. Das Rotnackenwallaby war vergangene Woche bei Kleinberghofen eingefangen worden, abgemagert, durstig und völlig entkräftet. "Es ist noch sehr wackelig auf den Beinen", sagt die Vorsitzende des Tierschutzvereins Dachau, Silvia Gruber. "Aber es geht langsam aufwärts. Wir sind zuversichtlich, dass er es schafft."

Wem der kleine Springinsfeld gehört, ist immer noch unklar. Niemand scheint Linus zu vermissen. Wahrscheinlich ist Linus auch gar nicht sein richtiger Name. Sie haben ihn nur so genannt, weil er so an seiner Schmusedecke hängt und daran nuckel wie der gleichnamige Charakter aus dem Comics "Peanuts". Linus ist das erste Känguru, dessen sich Silvia Gruber in 30 Jahren intensiver Arbeit im Tierschutzverein annehmen musste. "Wir haben zuerst gelacht, als wir gehört haben, dass wir ein Känguru einfangen sollen." Und dann haben sie mächtig gestaunt.

Linus ist mehr als nur ein putziger Einzelfall. Fünf bis 20 Exoten landen pro Jahr im Dachauer Tierheim. Darauf haben sich die ehrenamtlich Tätigen längst eingerichtet. "Inzwischen haben wir ein ganzes Netzwerk an Experten", sagt Silvia Gruber. Und natürlich muss es für die verschiedensten Arten auch unterschiedlichste Utensilien der Pflege und Behandlung vorhalten. Neben Hund, Katze, Maus sind in Dachauer Haushalten heute auch ganz andere, viel ausgefallenere Tiere zuhause.

In Dachau-Süd schlug ein Anwohner vor einigen Jahren Alarm, im Baum seines Gartens hänge ein "etwa 20 Zentimeter großes totes Reptil". Der ausgesandte Helfer musste feststellen, dass das wechselwarme Tier mitnichten tot war, nur ein bisschen träge. Und 20 Zentimeter maß das Tier auch nicht, sondern stolze 1,20 Meter. Wie sich herausstellte, handelte es sich um einen jungen Leguan. "Die kommen auch irgendwann in die Pubertät", sagt Silvia Gruber, "dann werden sie aufmüpfig. Wenn die auf dem Sofa hocken, lassen sie auch keinen mehr drauf." Rausschmiss war in diesem Fall anscheinend die einfachste Lösung. Genauso wie vor fünf Jahren, als mitten in Karlsfeld drei Boa Constrictor über eine Kreuzung krochen. Um ein Haar hätte ein Motorradfahrer eine der Würgeschlangen überfahren.

Heute genügt ein Mausklick, um alles zu bekommen, was da kreucht und fleucht, selbst seltene hochgiftige Schlangen - oder Schildkröten mit einem etwas wilderen Naturell: Auf einem Karlsfelder Kinderspielplatz hatte ein Mitarbeiter des Tierheims schwer damit zu kämpfen, einer sehr kampfeslustigen Schildkröte Herr zu werden. "Als mich der Mitarbeiter angerufen hat, habe ich ihn erst mal ausgelacht", sagt Silvia Gruber. Aber das Lachen verging ihr, als sie mit eigenen Augen sah, wie das kleine Reptil sich im Fangnetz des Autos verbissen hatte: eine waschechte Schnappschildkröte. Diese Spezies gelangte vor drei Jahren durch "Schnappi" zu zweifelhafter Berühmtheit. Das entflohene Reptil terrorisierte damals das badende Publikum im Eichsee (Landkreis Garmisch-Partenkirchen). Auch das Exemplar aus Karlsfeld erwies war bissig. "Wir haben ihm die Wasserschale immer nur mit einem Müllgreifer in den Käfig gesetzt", sagt Silvia Gruber. Näher traute sich keiner ran. Später kam das Tier in eine Reptilienauffangstation. Für die wachsende Zahl an Tieren mit Migrationshintergrund in Dachau ist auch der Tourismus verantwortlich. Wenn Leute nach einer Fernreise um halb zwei Uhr in der Nacht aufgeregt anrufen, weil sie beim Auspacken des Koffers zwischen den Hemden einen Königsskorpion oder eine Tarantel gefunden haben - "das ist keine Seltenheit" - , sind die Dachauer Tierschützer zur Stelle. Sie retten, helfen, bergen.

Völlig neu ist das Phänomen mit den Exoten im Landkreis nicht. Ilsa Oberbauer, Leiterin des Karlsfelder Heimatmuseums, erinnert sich an einen spektakulären Fall, den heute viele als moderne Legende abtun: "Das war im Jahre 1967", berichtet Oberbauer. "Der Dachauer Klaus Hager hatte sich in München ein Krokodil gekauft und es auf dem Rücksitz seines Autos mit an den Karlsfelder See genommen. Als er ausgestiegen ist um seine Badehose anzuziehen, hat das Krokodil die Flucht ergriffen, ist in den See ausgebüxt und untergegangen. Emil wurde seitdem nie mehr gesehen." Vermutlich ist er ertrunken.

"Ein Krokodil hatten wir bislang noch nicht", sagt Silvia Gruber. Aber zwei Löwen seien dem Dachauer Tierheim einmal angeboten worden: Bei einer Kontrolle eines Wanderzirkusses hatten die Behörden festgestellt, dass die Großkatzen nicht artgerecht gehalten werden. "Die Rechtslage ist nun mal so, dass die Tiere nur beschlagnahmt werden dürfen, wenn vorher für eine Unterbringungsmöglichkeit gesorgt wird." Für das Dachauer Tierheim waren die Löwen ein paar Nummern zu groß.

Jüngster Zugang im Heim ist ein Sonnensittich. Zwei Wochen lang turnte er durch Karlsfelder Obstbäume, bevor der bunte Papageienvogel eingefangen werden konnte. Sein Besitzer hat sich beim Tierheim noch nicht gemeldet. "Viel zu oft denken die Leute, dass ihr Vogel nicht gefunden wird", sagte Silvia Gruber. In vielen Fällen sei es genau andersherum: Der Besitzer ist nicht ausfindig zu machen. Das Tierheim, es ist auch ein Waisenhaus.

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