Theaterprojekt mit Geflüchteten:Die leise Stimme der Unsichtbaren

Fünf junge Männer aus Afghanistan, Syrien und von der Elfenbeinküste beschäftigen sich in einem Theaterstück mit der Bayerischen Verfassung, aber auch mit den Unterschieden zwischen den Kulturen. Vieles ist anders, als sie es kennen

Von Petra Schafflik, Dachau

Raumhoch türmt sich die Mauer auf. Als dichte Barrikade, rasch aus federleichten Umzugskisten aufgestapelt, trennt die Wand jetzt das Publikum von den fünf jungen Geflüchteten auf der Bühne. Hier der hell erleuchtete Zuschauerraum, dort im Dunkeln leise Stimmen der Unsichtbaren. Zwei Welten? Nur kurz, dann bittet einer der Schauspieler um Mithilfe. Schon springen die Zuschauer der ersten Reihe auf, reißen energisch gemeinsam mit den Darstellern die Kartonwand ein. Aufatmen auf beiden Seiten. Freiheit!

Theaterprojekt mit Geflüchteten: Sie hat eine beklemmende Wirkung, die Kartonwand, die Zuschauer und Flüchtlinge voneinander trennt. Erst als sie eingerissen wird, können beide Seiten aufatmen.

Sie hat eine beklemmende Wirkung, die Kartonwand, die Zuschauer und Flüchtlinge voneinander trennt. Erst als sie eingerissen wird, können beide Seiten aufatmen.

(Foto: Toni Heigl)

Mit dieser symbolischen Szene endet ein eindrucksvolles Theaterstück, das fünf junge Geflüchtete, die alle eine Integrationsklasse der Dachauer Berufsschule besuchen, jetzt gemeinsam mit dem Pädagogen und Schauspieler Nicholas Hohmann entwickelt haben. Die Inszenierung, die im Jugendzentrum Ost uraufgeführt wurde, ist Teil eines überregionalen Schulprojekts zum Festjahr "Wir feiern Bayern - 200 Jahre Bayerische Verfassung". Kommende Woche wird das Stück, das in Kooperation von städtischer Jugendarbeit, Berufsschule, Regierung von Oberbayern und Universität Nürnberg entstanden ist, dann in Rosenheim bei einer zentralen Veranstaltung einer breiten Öffentlichkeit präsentiert.

Theaterprojekt mit Geflüchteten: Die fünf Darsteller zeigen eindrückliche Szenen in ihrem Stück "Schwimmen".

Die fünf Darsteller zeigen eindrückliche Szenen in ihrem Stück "Schwimmen".

(Foto: Toni Heigl)

Bayerische Verfassung, das klingt nach vielen Vorschriften, komplizierten Texten und trockenem Schulstoff. Aber gibt es auch kreative Formen, um Schülern die wichtigen Grundwerte des Zusammenlebens bewusst zu machen? Und wie erleben junge Menschen, die zu uns geflüchtet sind und erst kurze Zeit in Bayern leben, diese Werte? Fantasievolle Antworten suchten Schüler und Lehrer von Ingolstadt bis zum Chiemgau in den vergangenen Wochen auf Anregung der Regierung von Oberbayern. In dem Projekt, das gemeinsam mit der Universität Nürnberg läuft, sollen vorbildhafte Unterrichtseinheiten entwickelt werden, die künftig andere interessierte Schulen ebenfalls für sich nutzen können. Auf die Dachauer Berufsschule kam die Behörde zu, weil dort bereits erfolgreiche Integrations-Theaterprojekte gelaufen sind.

Theaterprojekt mit Geflüchteten: Nicholas Hohmann ist Schauspieler und Pädagoge im Jugendzentrum Dachau Ost. Er arbeitete mit den fünf Flüchtlingen zusammen und führte bei dem Theaterprojekt Regie. Vor zwei Jahren betreute er schon einmal ein derartiges Projekt.

Nicholas Hohmann ist Schauspieler und Pädagoge im Jugendzentrum Dachau Ost. Er arbeitete mit den fünf Flüchtlingen zusammen und führte bei dem Theaterprojekt Regie. Vor zwei Jahren betreute er schon einmal ein derartiges Projekt.

(Foto: Toni Heigl)

Die Annäherung an das Thema passierte in den Integrationsklassen der Berufsschule dann stufenweise. Erst einmal haben sich die Schüler im Unterricht mit der Verfassung auseinandergesetzt. Dann suchte Schauspieler Nicholas Hohmann, der in Dachau am Jugendzentrum als Pädagoge tätig ist, interessierte Schüler für eine szenische Inszenierung. Eine kleine Gruppe von fünf jungen Männern im Alter zwischen 16 und 24 Jahren stellte sich der Herausforderung. Vor allem eigenes Erleben, persönliche Erfahrungen sollten einfließen.

"Ich habe da eine Geschichte" - so beginnen die Darsteller auf der Bühne ihre kurzen Erzählungen, die ein Licht werfen auf ihre Lebenswelt hier wie auch in der zurückgelassenen Heimat. Sie beleuchten kulturelle Unterschiede, die den Männern aus Afghanistan, Syrien und von der Elfenbeinküste aufgefallen sind. Wie die unterschiedlichen Kommunikationsregeln zwischen Männern und Frauen, die im jeweiligen Umfeld gesellschaftlich akzeptiert werden. Oder - "Termine, Termine, Termine" - der bis ins Detail durchgetaktete Alltag, der im Gegensatz steht zur Lebenswelt, wie sie die Darsteller aus ihrem ursprünglichen kulturellen Umfeld kennen.

Dann hängt plötzlich ein Plakat an der Wand: "Die Würde" ist dort zu lesen. "Die Würde des Menschen ist unantastbar" - dieser Satz, festgehalten im Artikel 100 der Bayerischen Verfassung, wird auf der Bühne wieder und wieder buchstabiert. Wichtiger als die schwierigen Wörter ist die Idee, erklärt ein Darsteller seinen Mitspielern. "Ganz egal, was man macht, man ist ein Mensch. Und alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich." Auch über Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung wird in kleinen Szenen debattiert. Bausteine einer Gesellschaft, in die sich die fünf Darsteller selbst gerne verantwortlich einbringen wollen. Und wo sie wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen und vieles zurückgeben möchten. "Bald. Gebt uns eine Chance." Die Chance, ihr Potenzial beim Theaterprojekt kreativ einzusetzen, haben die fünf jungen Männer auf jeden Fall erfolgreich genutzt. Das interessierte Publikum im Jugendzentrum-Ost spendet lautstarken Beifall.

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