Tag des offenen Denkmals:Todesurteil "lebensunwert"

Der Tag des offenen Denkmals erinnert an die Opfer der Kinderbaracke, die im Indersdorfer Bezirksfriedhof beerdigt sind.

Von Benjamin Emonts

Tag des offenen Denkmals: Die Stelen im alten Bezirksfriedhof tragen die Namen jener Kinder, die in der Indersdorfer Baracke ums Leben kamen.

Die Stelen im alten Bezirksfriedhof tragen die Namen jener Kinder, die in der Indersdorfer Baracke ums Leben kamen.

(Foto: Toni Heigl)

Der Ort des Schreckens, jenseits des Guten und Schönen, befand sich vor 68 Jahren in etwa dort, wo heute der Kindergarten Sankt Vinzenz steht. "Kinderpflegestätte Indersdorf" hieß die Einrichtung der Nazis damals offiziell. In Wahrheit aber war das Haus an der Klostermauer eine Kinderbaracke, in der zwischen September 1944 und Mai 1945 mindestens 32 Jungen und Mädchen ums Leben kamen.

Wer die Sterbeurkunden des Indersdorfer Standesamts nachliest, stößt auf die angeblichen Todesursachen der Kleinkinder: "Angeborene Lebensschwäche", "Ernährungsstörung" oder "Brechdurchfall". In Wirklichkeit aber starben die 32 Kinder in der Baracke wegen mangelnder Pflege und Unterversorgung. Sie galten als "lebensunwert".

Obwohl die Bewohner der Baracke noch Kinder und Säuglinge waren, wurden sie zu Opfern des Nationalsozialismus. Auf dem alten Bezirksfriedhof an der Maroldstraße 55 hatte man sie damals beerdigt. Heute erinnern dort Eichenstelen an die Kinder, die Schüler des Gymnasiums Markt Indersdorf (GMI) vor einigen Jahren angefertigt haben. Die 32 Namen auf den Stelen stehen für die in der Baracke umgekommenen Kinder, eine weitere für Annabail Chadlenko, die in schwerkrankem Zustand aus der Kinderbaracke abgeholt wurde und kurz darauf in Schwabhausen verstarb. Am Sonntag, 8. September, dem Tag des offenen Denkmals, wird an den vergessenen, unbequemen Ort erinnert. Zwischen 10 und 18 Uhr werden in Gedenken an die Verstorbenen zu jeder vollen Stunde ihre Namen ebenso verlesen wie das, was man aus den Dokumenten über sie weiß.

Erfreulich ist, dass inzwischen eine weitere Stele hinzugekommen ist. Sie erinnert an Wassili Pschika, der am 10. Dezember 1943 geboren wurde. Seine Mutter, die ukrainische Zwangsarbeiterin Irene Pschika, lebte und arbeitete auf dem Koanznhof in Untergeiersberg in der Gemeinde Indersdorf. Sie brachte den Jungen im Dachauer Krankenhaus zur Welt.

Die damalige Magd Liesl L., die mit ihr eine Schlafkammer teilte, erinnert sich noch heute, wie sie Mutter und Kind aus Dachau abgeholt hat. "Ich bin mit einem Kopfkissen und einer Decke bei hohem Schnee von Untergeiersberg nach Indersdorf gegangen, fuhr von dort mit dem Zug nach Dachau und lief vom Bahnhof zum Krankenhaus." Auf dem Rückweg wurden die beiden Frauen und der kleine Wassili vom Koanznbauern mit Pferd und Schlitten am Bahnhof in Empfang genommen. Liesl K. blickt zurück: "Die Bauernfamilie hat den Jungen bereitwillig aufgenommen und sie hätte ihn auch gerne auf dem Hof behalten. Doch dann hat es geheißen: Die Kinder der Fremdarbeiter müssen nach Indersdorf."

Wassili durfte nicht bleiben. Auf Drängen der zuständigen Hebamme wurde er am 8. September 1944 in die "Kinderpflegestätte Indersdorf" gebracht. Fortan lief seine Mutter an jedem freien Tag zu ihm hin, erinnert sich die Magd von damals. Schon bald aber beklagte die Mutter, dass ihr Sohn sehr krank war. Und als sie ihn am 15. Oktober 1944 wieder nach Hause holte, war Wasslilis Zustand bereits so schlecht, dass er kurz darauf verstarb. Die Kinderbaracke brachte ihm den Tod.

Sein Grab in Gumpersdorf in der Gemeinde Hilgertshausen ist längst aufgelassen. Jetzt, fast 69 Jahre später, wird auf dem Bezirksfriedhof in Indersdorf auch an ihn mit einer Stele erinnert. Der Indersdorfer Bürgermeister Josef Kreitmeir hat eigenhändig den Namen Wassili Pschika ins Holz gestemmt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: