SZenario:Voller Vitalität

Michael Braun zeigt im Wasserturm Bilder und Skulpturen zu seinem Lieblingsthema: dem Stuhl

Von Wolfgang Eitler, Dachau

So lustig anzüglich der Titel auch wirken mag, um die maximale Aufmerksamkeit zu erheischen, so wenig passt er zur Ausstellung von Michael Braun im Wasserturm neben dem Dachauer Schloss. Und das ist gut so. Denn die gesamte Installation aus Fotografien, Siebdrucken und Skulpturen ist wesentlich einfallsreicher, wesentlich vitaler und wesentlich vielfältiger, als es der Titel "Stuhlgang" anzudeuten vermag. Also hingehen, hinaufgehen zu den drei Galerieräumen - und staunen.

So sehr sich Michael Braun auch einen kunstgeschichtlich versierten Eröffnungsredner gewünscht hatte, so faszinierend, heiter und versiert war die Rede seiner Frau Esther Reed als eine ironisch-liebevolle Hommage an ihn als Künstler und Freund des Stuhls an sich. Seit Jahrzehnten sammelt er Exemplare, konserviert sie in ihrem gebrauchten Zustand, verändert sie zu Skulpturen oder schafft, wie in den Siebdrucken, Strukturen aus Gegenstand und Schatten. Beim ersten Rundgang war Günther Urban, selbst ein ausgewiesener Experte sämtlicher Drucktechniken, von den Bildern wegen der handwerklichen Qualität beeindruckt und auch überrascht. "Sehr gut", sagte er.

SZenario: Skulpturen aus Stühlen, dazu Bilder über alle möglichen Formen und Erscheinungen der Sitzgelegenheit.

Skulpturen aus Stühlen, dazu Bilder über alle möglichen Formen und Erscheinungen der Sitzgelegenheit.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Zurück zur Eröffnungsrede: Karin-Renate Oschmann freute sich darüber so sehr, dass sie danach sagte: "Das war die schönste, die ich jemals gehört habe." Sie muss es wissen, denn sie leitet den Förderverein Wasserturm seit dessen Gründung. Michael Braun und Esther Reed zusammen gelang am Donnerstagabend die Vernissage als ein Gesamtkunstwerk. Und so erzählte sie: "Die vor kurzem erst fertig gewordene Skulptur mit dem bedeutsamen Titel ,Eine zu viel' ließ mich beklemmt vermuten, dass sich der Michi, mein werter Ehemann, hier mit familiären Konflikten auseinandersetzt". Sie sei dann froh gewesen, dass ihr versichert worden sei, "dass ich nicht damit gemeint bin". Lachen. Wäre es anders, müsste sie angesichts des statisch riskanten Stuhlturms, der als Fotografie zu sehen ist, tatsächlich ihre Beziehung überdenken.

Außerdem staunt Esther Reed darüber, dass ein gelernter Physiotherapeut, der nachweislich Ahnung von Ergonomie hat, die Gesetze der Statik, der Beweglichkeit und der gesunden Haltung bei seinen Stühlen solchermaßen missachten konnte. Tatsächlich gleiten sie eine schiefe Ebene herunter oder sind überdimensional groß, als wären sie Hochsitze. Die Erklärung: "Dem Künstler geht es allein darum, Stühle vom reinen Nutzobjekt zu einer Skulptur mit Persönlichkeit zu verwandeln." Michael Brauns Pharisäer sollte dem Papst als visueller Ausdruck von dessen harscher Kurien-Kritik angeboten werden: Zwei weiße Holzarme halten einen Sessel fest, der unschwer als Jesus am Kreuz zu deuten ist. Aber es geht auch lustig zu.

SZenario: Künstler Michael Braun und seine Frau Esther Reed. Ihre Rede im Wasserturm begeisterte die Zuhörer.

Künstler Michael Braun und seine Frau Esther Reed. Ihre Rede im Wasserturm begeisterte die Zuhörer.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Anleihen an Kuriosem und Skurrilem spielen letztlich mit der Tradition des Objèt trouvé und dem Surrealismus. Dabei zählt nicht das einzelne Werk, das in den drei Stockwerken zu sehen ist, sondern der Gesamteindruck überbordender Vitalität und Phantasie. Sie heben die Ausstellung weit über vieles hinaus, was sonst im Wasserturm als bildende Kunst zu sehen war.

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