Szenario:Das ewige Enfant terrible

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Christian Benning am Marimbaphon ist nicht so berühmt wie Joseph Beuys, dafür ist seine Qualität als Künstler unumstritten. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Auf der Vernissage gibt es viel Lob für die erste Beuys-Ausstellung in Dachau. Nicht alle Besucher können sich für den radikalen Künstler begeistern - für den Stargast Christian Benning dagegen schon

Von Gregor Schiegl, Dachau

Mit einem Trommelwirbel kommt Christian Benning durch den Hintereingang des Kaufhauses Rübsamen ins Untergeschoss marschiert, das Instrument hat er vor den Bauch geschnallt, und das vielstimmige Gemurmel auf der Vernissage der ersten Beuys-Ausstellung in Dachau erstirbt augenblicklich. Rund 160 Werke von Joseph Beuys werden hier im vom Volksmund bereits scherzhaft "Scherm-Kunsthalle" genannten Raum gezeigt, Druckgrafiken, Zeichnungen und serielle Stücke, sogenannte Multiples.

Doch erst einmal stiehlt das 22-jährige Dachauer Schlagzeugtalent dem bedeutendesten bildenden Künstler im Deutschland des 20. Jahrhunderts die Show. Benning startet mit einem Stück, das "Tornado" heißt und auch entsprechend wild klingt, gefolgt von einer Adaption des wohl bekanntesten Stücks aus der "Suite española" von Isaac Albeniz', "Asturias" - auf dem Marimbaphon. Als Benning sein letztes Stück spielt und am Ende immer leiser wird, halten die etwa 200 Besucher den Atem an. Dann bricht der Applaus los. Die stellvertretende Landrätin Marianne Klaffki nickt ihm anerkennend zu: "Das ist ein Talent, auf das wir stolz sein können."

Und Beuys? Man trifft an diesem Abend viele, die neugierig geworden sind auf die Ausstellung, aber keinen Hehl daraus machen, mit Beuys "nicht so viel anfangen" zu können. Sein radikaler Kunstbegriff, der gestaltendes gesellschaftliches Wirken zur "Sozialen Skulptur" erhob, der selbst eine hochkomplexe, von anthroposophischer Esoterik durchdrungene Kunsttheorie entwickelte, das ist selbst manchen Dachauer Künstlern, die gekommen sind, zu hoch. Jutta Mannes vom Zweckverband Dachauer Museen gibt dem Publikum einen 15-Minutigen Crash-Kurs zu Beuys' Welt und Werk, für sein Verständnis bestimmter Materialen und Motive, für seine "Kompromisslosigkeit und Radikalität", aber auch für sein Bewusstsein für ökologische Nachhaltigkeit, mit dem der 1986 gestorbene Künstler seiner Zeit weit voraus war. Und als Kennerin, die selbst Ausstellungen macht, spricht sie den drei Männern vom Förderverein Wasserturm ein großes Kompliment für diese Ausstellung aus. "Hut ab!", sagt sie, was man auch als Anspielung auf Beuys verstehen kann, dessen Markenzeichen sein Hut war. Die drei Männer vom Fördervereins Wasserturm, Gerhard Niedermayr, Dieter Rothe und der Sammler Josef Lochner haben einen Coup gelandet und geben sich doch ganz bescheiden. Die ganze Organisation habe ihnen viel Spaß gemacht, sagen sie, und Lochner fügt verschmitzt hinzu: "Wir sind eine richtige Rentner-Crew."

Die drei haben eine bemerkenswert umfassende Beuys-Schau organisiert, die seine relativ unbekannten Druckgrafiken in den Vordergrund rückt. Hier kann man Beuys als Künstler erleben, der bei allem revolutionären Impetus einen feinen Sinn für Ästhetik hatte. Das ist auch das Anliegen dieser Ausstellung: den Leuten die Sensibilität von Beuys näherzubringen. Das gelingt nicht durchweg. "Wenn Sie mich fragen, hat der die Leute nur verarscht", sagt eine Besucherin aus Karlsfeld über Beuys. Noch heute man ihm sein berühmtes Zitat um die Ohren "Jeder ist ein Künstler". Gerade so, als sei jeder ein Christian Benning - obwohl Beuys das so nie gemeint hat.

Gerhard Niedermayr ordnet sehr schön ein, dass Beuys radikales Eintreten für Individualismus und Selbstverwirklichung in einer der großteils noch muffigen und verkrusteten Gesellschaft der Sechziger stattfand und als Akt der Selbstermächtigung gedacht war. Doch die Zeiten haben sich geändert. "Was Emanzipation war, verkehrt sich in einen kommerziellen Imperativ", sagt Niedermayr. "Aus Freiheit wird Zwang und Selbstdarstellung." Insofern sei Beuys "aktueller denn je".

Die Ausstellung ist noch bis 18. März zu sehen. Am Freitag, 23. März, folgt dann der zweite Streich, im Rübsamen-Untergeschoss mit Werken des Malerfürsten Markus Lüpertz.

© SZ vom 02.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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