SZ-Serie: Sagen und Mythen, Folge 9:Der Unberechenbare

Um den Hachinger Bach ranken sich viele Geschichten, allein schon deswegen, weil er weder eine richtige Quelle noch eine richtige Mündung hat. Und auch Müller hatten häufig einen zweifelhaften Ruf

Von Iris Hilberth

Die Nachricht aus Oberhaching wurde schon erwartet. Der Reiter verkündete sie daher lautstark im Galopp, bevor er die ersten Häuser von Taufkirchen und anschließend die von Unterhaching erreichte: "Das Wasser kommt!" Es war eine gute Nachricht. Die Müller vom Hachinger Bach konnten gewiss sein, dass ihre Räder sich bald kräftig in Bewegung setzen würden und das am Oberlauf zunächst aufgestaute und dann frei gelassene Wasser ihnen die Energie bringen würde, die sie für ihre Mühlen brauchten.

Man mag es sich heute kaum mehr vorstellen, dass dieser offenbar so harmlos dahin plätschernde Bach, der teilweise in seinem renaturierten Bett, dann wieder eingezwängt zwischen Betonwänden auf seinem knapp zwölf Kilometer langen Weg von Deisenhofen bis Berg am Laim fließt, eine solche Kraft entwickeln kann, dass Mahlmühlen und Sägewerke einem Müllermeister genügend Auskommen sicherten.

Von Letzteren gab es seinerzeit jede Menge entlang dem Hachinger Bach. Die meisten Mühlen entstanden bereits im 15. Jahrhundert und hielten sich teilweise bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. "Die Bauern kamen von weither, um hier ihr Getreide mahlen zu lassen", schreibt der ehemalige Unterhachinger Heimatpfleger Franz Felzmann in seinem Buch "Geschichte und G'schichten". Doch führte der Bach im Laufe der Jahrhunderte immer weniger Wasser. Selbst Johann Kottmüller, der 1862 die schon aufgegebene Obermühle in Unterhaching kaufte, 250 Meter Bach aufwärts verlegte und auf die Begradigung des Gewässers setzte, die mehr Energieausbeute versprach, konnte das Mühlensterben nicht aufhalten. 1955 musste auch dieser als "Kiermaier-Mühle" bekannte Betrieb schließen.

Wenn man viele Jahre später in dem Gebäude am Hachinger Bach, wo die Hauptstraße eine scharfe Rechtskurve macht, hinaufstieg in die oberen Stockwerke, ließ sich lange noch erahnen, wie sich hier einst die Mühlsteine drehten, das Getreide gelagert wurde. Gertraud Schubert war dort oben, vielleicht zehn Jahre ist das her, sagt sie, und es sei wie eine kleine Reise in die Vergangenheit gewesen. Die Unterhachinger Grünen-Gemeinderätin stammt aus einer Müller-Familie, ihr Großvater hat eine der letzten Mühlen im Salzburger Land betrieben. Die Faszination für diesen Handwerksberuf teilt sie mit ihm. "Die Müller waren früher immer ein bisschen verrufen, weil sie Ahnung von Technik hatten", sagt Schubert, "sie waren die Ingenieure der damaligen Zeit." Deshalb sei ihnen auch häufig Zauberkraft zugeschrieben worden. Viele Müller-Sagen ranken sich um solche für die Menschen unerklärlichen Phänomene in und an den Mühlen. Die berühmteste hat Otfried Preußler in seinem Jugendbuch "Krabat" verarbeitet, in der ein Müllermeister seine Knappen in der Schwarzen Kunst unterrichtet. "In den meisten Geschichten ist der Teufel in der Mühle zu Gast oder der Müller mit dem Teufel im Bunde", sagt Schubert, "und immer geht es um zu viel und zu wenig Wasser". Auch ihr Urgroßvater sei den Leuten in seinem österreichischen Dorf damals wohl nicht ganz geheuer gewesen, schließlich war er der Erste, dem es gelang, mit der Wasserkraft elektrischen Strom zu produzieren. "Wenn dann die Lampen zu flackern begannen, hat meine Urgroßmutter die Tür aufgemacht und rausgerufen: "Fritz, mehr Wasser!"

Nun haben am Hachinger Bach nicht nur die technisch begabten Müller die Fantasie der Leute beflügelt. Auch der Bach selbst gab lange Rätsel auf. Keine richtige Quelle, keine Mündung. Er kommt aus dem Deininger Weiher, taucht im Gleißental unter und in Oberhaching wie aus dem Nichts wieder auf, fließt durchs Hachinger Tal, vereint sich in Taufkirchen mit dem Entenbach und dem Mühlbach, wird größer, an manchen Stellen auch breiter - und verschwand einst bei Perlach einfach wieder in der Münchner Schotterebene. Seltsam fanden die Menschen einen solchen Verlauf und suchten nach Erklärungen - wie in der Sage von den beiden bösen Müllersöhnen, sie so lange miteinander stritten, bis sie durch das Versiegen des Baches bestraft wurden. Schubert kennt noch eine andere Version der Geschichte. In der spielt der Teufel mit den Müllerbuben Karten und verschwindet anschließend in einem großen Loch - und nimmt den gesamten Bach gleich mit.

Streitlustige Müller

Einst war der Hachinger Bach ein ganz normales Gewässer, das immer breiter wurde, je mehr er sich seiner Mündung näherte. Kurz vor Perlach hatte er bereits eine stattliche Größe, sodass der Müller, der dort seine Mühle mit den Fluten des Hachinger Bachs antrieb, gut von seiner Arbeit leben konnte. Er war ein braver, rechtschaffener und fleißiger Mann und er wünschte sich, dass seine beiden Söhne einmal seine Mühle weiter betreiben würden. Nur fiel es ihm schwer zu entscheiden, welchem der beiden Buben er sein Erbe anvertrauen sollte. Und so entschloss er sich schließlich, jedem die Hälfte zu überlassen, denn er wollte keinen benachteiligen. Der Müller dachte sich auf dem Sterbebett, die beiden würden schon miteinander auskommen.

Doch da hatte er sich gewaltig geirrt. Die Müllersöhne vertrugen sich überhaupt nicht. Jeder missgönnte dem anderen den Erbteil und befürchtete ständig, der Bruder würde ihn hintergehen und sich mehr nehmen, als ihm zustand. So stritten sie ununterbrochen miteinander. "Du Taugenichts", schrie der Ältere den Jüngeren an, "deine Faulheit bringt uns noch an den Bettelstab!" Das machte den Jüngeren so zornig, dass er antwortete: "Du elender Geizkragen, deine Feilscherei um jeden Heller wird uns noch den letzten Kunden verscheuchen."

Sie waren so sehr mit gegenseitigen Vorwürfen und Streitereien beschäftigt, dass sie schließlich sogar die Geschäfte vernachlässigten und die Mühle immer mehr herunterkam. Es hatte sich in der Gegend längst herumgesprochen, wie arg sie es mit ihrer Feindseligkeit trieben, und als sie schließlich auch noch handgreiflich wurden, sah sich der Pfarrer in der Pflicht, einzugreifen.

Er suchte das Bruderpaar in der Mühle auf und redete ihm ins Gewissen. Sie sollten doch an ihren Vater denken und sich ihm zuliebe vertragen, bat der Pfarrer die Brüder. "Er würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, wie missgünstig ihr beide miteinander seid." Doch er fand bei den Geschwistern kein Gehör. Im Gegenteil, sie jagten den Pfarrer aus der Mühle und stritten weiter - noch mehr als zuvor. Am Tag darauf allerdings war der Hachinger Bach, der ihre Mühle antrieb, plötzlich kurz vor ihrem Anwesen versiegt. Warum? Die Strafe Gottes, sagten die Leute. hilb

Tatsächlich entstand der Hachinger Bach neben der Isar als zweite Schmelzwasserabflussrinne des Isar-Loisach-Gletschers. Und so erklärt es Schubert auch bei ihren Führungen am Hachinger Bach für den Bund Naturschutz. Heute speist der Bach sich im Gleißental aus dem Grundwasser, das an dieser Stelle so knapp unter der Oberfläche liegt. Im Verlauf nach Nordosten fällt dieser unterirdische Grundwasserverlauf jedoch ab, wodurch normalerweise auch die Wassermengen des Baches sinken und weiter versickern würden. Allerdings hat man den Bach inzwischen in ein Rohr geleitet und führt ihn in Berg am Laim in den Hüllgraben, dann in den Abfanggraben bei Neufinsing und schließlich in den Mittleren-Isar-Kanal. Damit er immer ausreichend Wasser führt, wird seit 1982 in Oberhaching der Bach zusätzlich mit einem Grundwasserbrunnen gespeist.

So brav wie er durch diese bauliche Zähmung erscheint, ist der Hachinger Bach aber auch heute nicht. Vor allem durch das Grundwasser besteht bei anhaltenden Regenfällen bachabwärts bei Unterhaching und Neubiberg ein erhöhtes Risiko der Überschwemmung. Derzeit arbeiten die Stadt München und die Anrainergemeinden im Hachinger Tal an einem gemeinsamen Hochwasserschutzkonzept.

Der Bach ist launisch, so viel steht auch in modernen Zeiten fest. Und so kann es passieren, dass er trotz aller Verbauung und Berechnungen eben doch mal verschwindet. Ganz plötzlich. Und man muss ihn mühsam wieder zurückholen. Als nämlich vor zwanzig Jahren die Metzgerei Diepold auf ihrem Anwesen an der Ecke Hauptstraße/ Ottobrunner Straße, dort wo einst die Untermühle stand, umbaute, geschah das Unglaubliche. Es sollte ein unterirdischer Gang zwischen Schlachterei und Verkaufsraum gebaut werden, doch offenbar hatten die Arbeiter nicht die Launen des Hachinger Bachs einkalkuliert. "Kaum hatte sie gegraben, schon war der Bach weg", erinnert sich Schubert. Und das ist keine Sage, sondern eine wahre Geschichte.

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