SZ-Serie: "Meisterhaft", Folge 10:Des Meisters Maß

"Diese Arbeit macht man nicht wegen dem Geld, sondern aus Freude am Beruf": Stephan Steinberger ist Schuhmacher mit Leib und Seele. 1984 hat er als Lehrling angefangen, mit 23 Jahren hatte er seine eigene Werkstatt. Heute prophezeit er seinem Handwerk keine große Zukunft mehr

Von Berthold Neff

So sehen also Hände aus, die einen davor bewahren, barfuß durch die Welt zu gehen. Groß und sehnig sind sie, stark. Schwielen am Zeigefinger der rechten Hand, Hornhaut überall dort, wo das Messer gegen die Haut drückt, wenn es sich mit der Klinge durch das Leder arbeitet. Drei Jahrzehnte braucht einer, bis er solche Hände hat.

Angefangen hat Stephan Steinberger im Alter von 15 Jahren, als er beim Schuhmacher Conrad Fiedler begann, sein Handwerk zu erlernen. Im Herbst 1984 trat er die Lehrstelle an und musste sich mächtig ins Zeug legen, denn schon zu Weihnachten sollte er seinen ersten Schuh präsentieren. Die Hände bekamen es zu spüren. "Es fängt mit Blasen an, dann ist erst einmal alles offen, bis dann die Hornhaut dran ist", sagt Steinberger.

Die Hornhaut schützt einen auch dann vor Schmerzen, wenn man den zusammengezwirbelten, pechgetränkten Faden durch die engen Löcher im Leder zieht, um die Sohle mit dem Oberteil zu verbinden. Und man zieht so schnell und so hart, dass die Reibung das Pech erhitzt und verflüssigt. Der Faden, der durch die Öse der dünnen Stahlborste läuft, muss durch die mit der Ahle gestochenen Löcher. Und weil der Meister eine doppelte Naht haben will, näht er mit zwei Fäden gegenläufig, fährt die Arme auf Schulterhöhe weit aus wie ein Albatros die Flügel und zieht mächtig an den Fäden. "Da brauchst Du eine Riesenkraft", sagt Stephan Steinberger.

Und man braucht auch viel Kraft, um das Pensum zu schaffen, das er hier in seiner Werkstatt an der Viktoriastraße 26 Tag für Tag leistet. "Ich arbeite 60 bis 80 Stunden in der Woche." Vor anderthalb Jahren hat Steinberger, der in Feldkirchen als Sohn eines Bäckers aufgewachsen ist und auch heute noch dort wohnt, seine Werkstatt in der Nähe des Bonner Platzes bezogen. Er ist schon viel herumgekommen. Zunächst arbeitete er, nach der Gesellenprüfung, bei Eduard Meier und legte dort schon 1989, im Alter von 20 Jahren, die Meisterprüfung ab, als jüngster Schuhmachermeister Deutschlands.

Bald darauf, 1992, machte sich Stephan Steinberger als Maßschuhmacher selbständig. Zunächst arbeitete er in Gmund am Tegernsee, wechselte dann nach Schliersee. Schon damals waren es aber nicht vor allem die Touristen oder die Einheimischen, die bei ihm maßgefertigte Bergstiefel oder Haferlschuhe bestellten. Viele seiner Kunden kamen aus München. Und so beschloss er, zu ihnen zu kommen. Er übernahm die Werkstatt von Robert Feuchtgruber an der Viktoriastraße, wo schon seit 60 Jahren Schuhe besohlt und Absätze gerichtet werden.

Die Reparatur ist eines von drei Standbeinen, mit denen der Meister seinen Ein-Mann-Betrieb auf Kurs hält. Die Klingel an der Ladentür ertönt, wenn wieder jemand ein Paar durchgelaufene Schuhe vorbeibringt. Mehr als 1000 Kunden hat er derzeit, 400 davon sind als Bezieher von Maßschuhen registriert. Deshalb haben sie ihren persönlichen Leisten aus Buchenholz im Zimmer nebenan. Dieses Abbild ihres Fußes dient als Vorlage bei der Herstellung des maßgefertigten Schuhs. Und weil ein solcher Schuh, wie der Meister sagt, "sitzen muss wie eine Bandage", wird auch umfassend probiert. Anhand des Leistens modelliert er am Tiefziehgerät, das eine Folie mit Hitze und Druck formt, einen durchsichtigen Probeschuh. Erst danach wird der Schaft ausgewählt, über dem Leisten in Form gebracht und Stich für Stich mit der Brandsohle doppelt vernäht. "Das hält dann locker 15 Jahre", sagt der Schuhmacher, kostet aber auch etwa 1500 Euro.

Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass für einen solchen Schuh etwa 40 Arbeitsstunden nötig sind. Es sind aber nicht nur die Reichen, die sich so etwas leisten. "Das sind", sagt Steinberger, "oft ganz normale Leute, die spüren, dass ein solcher Schuh nachhaltig ist und auf Dauer günstiger als Wegwerfschuhe". Drittens betätigt sich der Meister auch als Verkäufer. Sogenannte Handmacher-Schuhe, gefertigt in einer Manufaktur in Tschechien, stehen bei ihm zur Anprobe bereit, in bis zu vier Weiten je Schuhgröße. Sie sind, mit Preisen um die 300 Euro, günstiger als Maßschuhe, aber immerhin holzgenagelt, ohne Kunststoff und Pappe, gut zu reparieren und damit auch von langer Lebensdauer.

Gilt das auch für diesen Beruf, der schon in der Antike wichtig war? Wie lange wird es noch Schuhmacher geben, die sich schon im 12. Jahrhundert in Zünften organisierten und Gestalten wie Hans Sachs hervorbrachten, den "Schuhmacher und Poet dazu", von Goethe und Richard Wagner gepriesen? Mit einer optimistischen Prognose zum Fortbestand kann Stephan Steinberger nicht dienen. Er findet es nicht gut, dass die damals rot-grüne Bundesregierung die Meisterpflicht bei den Schuhmachern abgeschafft hat, so dass man sich heute auch schon als Geselle selbständig machen kann. Den Meisterbrief braucht's dafür nicht mehr. Er findet es schade, dass es in ganz Bayern nicht mehr möglich ist, die Meisterprüfung abzulegen, man bietet sie mangels Nachfrage einfach nicht mehr an. Wer diesen Titel anstrebt, müsste nach Hamburg reisen. Irgendwann, meint Steinberger, werde es in jedem Münchner Viertel nur noch einen richtigen Schuhmacher geben. Zu viele Käufer greifen zu Billigschuhen, bei denen sich die Reparatur finanziell nicht mehr lohnt. Das Problem, dass die Schuhe und ihre Hersteller unterschätzt werden, hatte sein Lehrmeister Fiedler erkannt und so erklärt: "Die Füß' und die Schuh sind zu weit vom Kopf weg."

Ihn selbst wird es, wenn die Gesundheit mitmacht, wohl noch drei Jahrzehnte in diesem Beruf halten, notgedrungen. Die Zeiten, in denen man sich mit dem Meister-Verdienst das eine oder andere Häuschen kaufen konnte, sind vorbei. Er kommt zwar gut über die Runden, sagt der 46-Jährige, verdient aber kein Vermögen: "Diese Arbeit macht man nicht wegen dem Geld, sondern aus Freude am Beruf." Auch wenn die Schuh' vom Kopf so weit weg sind.

Die Ausbildung zum Schuhmacher ist an der Städtischen Berufsschule für Orthopädietechnik an der Luisenstraße 11 möglich. Lesen Sie am Freitag: das Handwerk des Büchsenmachers

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