SZ-Serie: Geschichten aus dem Dachauer Land, Folge 15:Täglich leben wie im Urlaub

Der Weiler Rienshofen bei Schwabhausen ist ein Ort der Stille und ein Zentrum des Westernreitens in Bayern

Von Thomas Altvater, Rienshofen

Es ist still hier. Der Wind lässt die Blätter an den Bäumen rascheln, man kann die Regentropfen auf dem Asphalt aufplatzen hören. Verkehr gibt es hier nicht. Ab und an verirrt sich ein einzelner Autofahrer in die Stille, um dann schnell weiterzufahren. Der Blick reicht auf der einen Seite über das Gelände hinweg, in der Ferne bahnt sich eine Straße ihren Weg durch die Landschaft. Daneben Bäume, Wiesen, Felder. Hier und da zwitschert ein Vogel. Auf der anderen Seite erhebt sich ein Hügel. Es scheint, als wolle er sich schützend vor den wenigen Häusern aufbauen. An der einzigen asphaltierten Straße, die kaum breiter als zwei Meter ist, steht ein Geschwindigkeitsmesser. Doch Autos sucht man hier vergeblich. Vermutlich passieren mehr Hunde als Autos die Straße. Keine zehn Meter weiter steht ein Tütenspender für Hundekot. Es ist still in Rienshofen. Das Besondere an Rienshofen? "Hier kommt man nur vorbei, wenn man auch wirklich nach Rienshofen muss", sagen die Dorfbewohner.

Ortsserie Rienshofen

Der Hof ist Heimat des "Lucky Horse Corral", einer Westernreitschule von Carolin Lenz.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

In der Gemeinde Schwabhausen, zwischen Großberghofen und Arnbach, liegt der Weiler. Wer aus Großberghofen nach Rienshofen will, für den endet nach wenigen Metern die asphaltierte Straße, es folgen einige hundert Meter Schotterpiste. Die Straße nach Arnbach ist hingegen geteert, die einzige weit und breit. 60 Pferde leben in Rienshofen. Und 20 Menschen in sechs Haushalten, aufgeteilt auf drei Bauernhöfe und drei Wohnhäuser.

Erstmals urkundlich erwähnt wurde "Rienshoven", "bei den Höfen des Rien", im Jahr 1293. So entnimmt man es der Schwabhauser Ortschronik. Am Anfang bestand der Weiler wohl aus drei Höfen. Einiges hat sich seitdem nicht geändert, einen Kanalanschluss haben die Anwesen hier zum Beispiel noch immer nicht. Auch die drei Höfe stehen noch. 1418 wurde Rienshofen als Edelsitz beschrieben, als Wohnsitz eines niedrigen Adeligen. Wilder wurde es, als einer der Bauern sich mit einer Erweiterung der Hofanlage verkalkulierte. Sein Hof wurde teilweise zerstört und daraufhin, im Jahre 1897, an einen Bauerssohn aus Albersbach übergeben. Alteingesessen ist die Familie Seitz, deren Hof im oberen Teil des Weilers liegt. Gegenüber dem Bauernhaus baut die Familie eine neue Maschinenhalle, das Dach wird gerade gedeckt. Im Garten steht ein altes Backhaus. Weiter oben hat die Familie eine eigene Kapelle errichtet.

Drei Generationen unter einem Dach

Den Hof mit dem noch immer zutreffenden Hofnamen "Beim Baur" gibt es seit 1554, seit etwa 250 Jahren ist er in Familienbesitz. Als mittlerweile einzige Familie in Rienshofen bewirtschaftet sie ihren Hof noch. Drei Generationen leben im Haus der Familie Seitz. Die Großeltern Herbert und Rosmarie, die Tochter Andrea Raab mit ihrem Mann und den neun und zwölf Jahre alten Söhnen. Veränderungen im Ort haben Rosmarie Seitz und Andrea Raab nicht erlebt. Dass man hier im Einzugsgebiet von München liegt, kann man für ein vages Gerücht halten. Reihenhäuser, Neubausiedlungen? Fehlanzeige. "Es gibt hier keinen Bebauungsplan, deshalb darf in Rienshofen niemand neu bauen", sagt Rosmarie Seitz. Auch in Zukunft wird sich also nicht viel verändern, was der Idylle des kleinen Orts schaden könnte.

Ortsserie Rienshofen

Andrea Raab (links) heiratete in der kleinen Kapelle auf dem Hof ihrer Eltern.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Doch gerade in der Pubertät und für junge Leute könnte die Ruhe, die Abgeschiedenheit eines Orts - wie Rienshofen einer ist - zum Problem werden. Man will doch in die Welt hinaus, in die große Stadt, feiern gehen, unabhängig sein. Solche Sehnsüchte seien nie wirklich ihr Thema gewesen, erzählt Andrea Raab über ihre Jugend. "Dann braucht man halt entweder ein Radl oder nette Eltern." Ihre Freundinnen würden immer wieder herkommen, für sie ist es in Rienshofen wie im Urlaub, so still und ruhig. Dennoch, ohne Auto geht hier nichts. "Als ich meinen Führerschein bekommen habe, das war echt einer der schönsten Momente meines Lebens", sagt Raab lachend. Für die Kinder ist der Hof der Familie Seitz ein regelrechter Abenteuerspielplatz. "Alle Freunde unserer Buben kommen her, weil es für die einfach schön ist. Die können mit dem Bulldog mitfahren oder mit dem Mähdrescher", sagt Raab. Zweimal am Tag kommt der Schulbus, er holt die Kinder in der Früh ab und bringt sie nach der Schule wieder nach Hause. Ein tägliches Ritual und ein kleines bisschen Komfort. Früher gab es sogar einen Bus, der die Kindergartenkinder direkt abgeholt hat.

"Wir haben eine Dorfgemeinschaft, die super funktioniert"

Die Stille in Rienshofen, das scheint sich auf die Geschichte des Orts niedergeschlagen zu haben. Aufregenden Zeiten gab es hier nicht, viel passiert ist auch nicht. Und glaubt man Rosmarie Seitz und ihrer Tochter, dann schwelgt auch das Dorfleben in ruhiger Harmonie. "Wir haben eine Dorfgemeinschaft, die super funktioniert. Wir stellen zum Beispiel alle drei Jahre gemeinsam einen Maibaum auf", erzählt Rosmarie Seitz. Und ein Dorffest gibt es jedes Jahr. Nur heuer sei keines gewesen, ergänzt ihre Tochter.

Ortsserie Rienshofen

Die Kapelle steht auf dem Hof von Herbert und Rosmarie Seitz in Rienshofen.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Weitläufige Koppeln, eine große Reithalle, Pferdeställe. Wer über den Hof der Familie Seitz spaziert merkt, dass sich hier Vieles um Pferde dreht. Vor 35 Jahren kamen die ersten Pferde auf den Hof, seitdem sind die Tiere neben der Landwirtschaft der Hauptbetriebszweig. Ein Grund, warum sich Harald Betz das Idyll im Dachauer Hinterland vor zehn Jahren zu seinem Arbeitsplatz gemacht hat. Betz, ein mittelgroßer Mann, trägt Jeans, eine Baseballkappe und eine dunkelblauen Jacke, auf dem Rücken steht in großen roten Buchstaben "Western". Kaum etwas beschreibt seinen Lebensinhalt, seinen Beruf, seine Ladenschaft besser als diese Jacke. Betz zählt zu den Pionieren des Westernreitens, in Deutschland und Europa. "Früher gab es nur klassisches, also englisches Reiten, das Westernreiten war etwas komplett neues, und deshalb war das so spannende für mich", erzählt Betz.

Aus ganz Deutschland und Österreich bringen Pferdebesitzer ihre Tiere nach Rienshofen

Das Westernreiten, ein amerikanischer Reitstil, lehnt sich an die Reitweise der Cowboys an. Geritten wir einhändig und in vielen verschiedenen Disziplinen. Jean-Claude Dysli, Begründer des Westernreitens in Europa, infizierte Betz mit dem Virus der neuen Sportart. Neben seinem Beruf bei einer Spedition begann der 71-Jährige, sich der neuen Art des Reitens zu widmen. Mit Erfolg. Er schaffte das, wovon viele Menschen träumen: Er konnte sein Hobby zum Beruf machen. Seit nun mehr 35 Jahren ist er im Westernreitsport tätig. Zusammen mit Claudia und Carolin Lenz betreibt er eine der erfolgreichsten Westernreitschulen Deutschlands, das "Lucky Horse Corral". Und das in Rienshofen. Die Stallungen und die Koppeln haben die Westernreiter von der Familie Seitz gepachtet. Die Stille, das sei ein Grund gewesen, wieso sie nach Rienshofen kamen, sagt Betz. "Es gibt keine Straßen, man kann also sehr gut ausreiten, und es gibt viele Koppeln, die Lage ist einfach perfekt." Auch Carolin Lenz sieht das ähnlich. "Hier fährt man nicht einmal durch", sagt sie lachend. Um 8.30 Uhr beginnt der Arbeitstag von Lenz. Die Pferde müssen ausgeritten werden. Aus ganz Deutschland und Österreich bringen Pferdebesitzer ihre Tiere nach Rienshofen, damit Lenz die Pferde trainiert und reitet. Denn sie ist nicht irgendwer, sie ist eine Größe ihres Sports.

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Im Weiler Rienshofen leben 60 Pferde und 20 Menschen in sechs Haushalten.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Carolin Lenz steht in einem Gemeinschaftsraum, über einem der Ställe. Mit lauten Bellen begrüßt Hofhund Woody alle Gäste. Lenz wirkt ein wenig gestresst, in wenigen Stunden geht es zur deutschen Meisterschaft im Westernreiten nach Kreuth. Die Wände des Raums im ersten Stock sind voll mit Pokalen, Urkunden und Auszeichnungen. Auf der schwarzen Jacke der 27-Jährigen steht "Finalist German Open". Zum ersten Mal auf einem Pferd saß sie mit fünf Jahren. Abgestiegen ist sie seitdem kaum. Sie gehört seit vielen Jahren zur Elite des Westernreitsports in Europa. Als Jugendliche wurde sie Vizeweltmeisterin, danach mehrmals Europameisterin. Fünf Menschen kümmern sich um die Pferde.

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Für die Kinder von Andrea Raab ist Rienshofen ein großer Abenteuerspielplatz. Mehrere Baumhäuser haben die Kinder schon gebaut, sogar mit eigener Stromversorgung.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Dass sich die Westernreiter in Rienshofen, mitten in Bayern, so wohl fühlen, hat noch einen weiteren Grund. "Der Bayer wäre in Amerika am ehesten ein Texaner", erklärt Betz schmunzelnd. Im späten 19. Jahrhundert war Texas, der Bundesstaat im Süden Amerikas, Hauptschauplatz der Cowboys, die dort die riesigen Viehherden zusammentrieben. Bayern und Westernreiten? Das passt einfach zusammen. Und der Alltag der Cowboys vor zweihundert Jahren wurde vor allem durch eines geprägt: Die Stille.

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