Geschichten aus dem Dachauer Land:Wie Sixtnitgern zu seinem Namen kam

Der Weiler war eine Kolonie von Waldarbeitern, die ein hartes Leben führten. Heute ist er als Wohnort begehrt.

Von Renate Zauscher

Was für ein Name für den kleinen, jenseits der Durchgangsstraßen gelegenen Ort im Nordwesten des Landkreises: Sixtnitgern! Wer sieht hier wen oder was nicht gern? Und wie ist das lang gestreckte Straßendorf auf dem Höhenzug zwischen Sittenbach am Rande des Glonntals und dem Altomünsterer Forst, das zur Gemeinde Odelzhausen gehört, zu diesem Namen gekommen? Leonhard Huber, früherer Besitzer von St. Johann, einem Hof mit uralter Geschichte knapp unterhalb von Sixtnitgern, hatte zwei Erklärungen für die Herkunft des Ortsnamens. Zum einen, schreibt der leidenschaftliche, 1975 verstorbene Lokalhistoriker in seinem Büchlein "Land und Leute zwischen Aichach, Friedberg und Dachau", gebe es die Legende, dass ein Schlossbesitzer der Umgebung die Gründung einer Waldarbeitersiedlung geplant hatte. Der Plan ihres Mannes habe der Schlossbesitzersgattin aber offenbar nicht gefallen: Sie sehe das nicht gern, soll sie dem Ehemann erklärt haben, was auf Bairisch dann "I six nit gern" heißt.

Weiler Serie St. Johann

Der Hof besteht aus einem Wohnhaus und einem Wirtschaftsgebäude (Foto).

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Leonhard Huber hatte aber noch eine andere, prosaischere Erklärung parat. Ein Gern, schreibt Huber, bezeichne eine dreischenklige, spitz zulaufende Ackerfläche, und in diesem Fall könne es sich um den Gern neben einer dem Heiligen Sixtus geweihten Kapelle handeln. Auf die Existenz einer Kapelle weist auch der Flurname "Kapellenbreite" für einen Acker zwischen Sixtnitgern und St. Johann hin; nach der Erinnerung älterer Sixtnitgerner soll es sich dabei aber um eine Thomas-Kapelle gehandelt haben, die hier früher stand. Eine Sixtuskapelle ist historisch nicht belegt. Wie auch immer Sixtnitgern zu seinem Namen gekommen sein mag: Der Ort ist jedenfalls kein altes, bäuerlich geprägtes Dorf, sondern eine vergleichsweise späte Siedlung. Im "Historischen Atlas von Bayern" wird Sixtnitgern vor rund einhundert Jahren als "ärmliche Kolonie von Taglöhnern und Waldarbeitern" bezeichnet, die "hart am Wald" gelegen sei. Genau dies war der kleine Ort noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Leonhard Huber, der Sohn des Lokal- und Familienhistorikers gleichen Namens, erinnert sich noch gut an die Armut der Menschen im Dorf: Die Männer arbeiteten im Wald, die Frauen versorgten daheim die ein, zwei Kühe, welche die Grundlage ihres Lebensunterhalts bildeten, und kümmerten sich darüber hinaus um Haus, Garten und die Kinderschar.

Weiler Serie St. Johann

Sehr viel älter als Sixtnitgern ist der Hof von Erika und Leonhard Huber in St. Johann.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Eine, die das schwere Leben einer Waldarbeiterin noch aus eigener Erfahrung kennt, ist Maria Wallner in Sixtnitgern: Sie hat Jahrzehnte lang bis ins Rentenalter im Forstrevier von Eurasburg gearbeitet - anfangs noch für einen Stundenlohn von 70 Pfennig. Unmittelbar vor Maria Wallners Haus erinnert eine Tafel an den ehemaligen, von König Ludwig II. 1873 finanzierten Dorfbrunnen, den "Königsbrunnen", an dem sich früher ein Großteil des gesellschaftlichen Lebens zumindest der Frauen abspielte. Auch der ein oder andere Hausname wie etwa die Bezeichnung "Waldhüter" berichtet von der Ursprungsgeschichte des Orts.

Weiler Serie St. Johann

Daneben steht eine gotische Kirche mit einem prächtigen Altar.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Vom Geld, das die schwer arbeitenden Männer am Samstag ausgezahlt bekamen, ist offenbar ein Gutteil in Alkohol investiert worden: "Ihr Geld hams versuffa, und die Weiber sind betteln gegangen", schildert ein älterer Sixtnitgerner sehr drastisch die damalige Situation. Bildlich dargestellt ist die Freude der Waldarbeiter am Bier auf einer "Lüftlmalerei" über dem Eingang zum Gasthof Harner am westlichen Ortsrand von Sixtnitgern: Masskrüge stemmende Mannsbilder in Lederhose und Wadlstrümpfen zapfen gerade ein Fass an. Die Urgroßeltern des heutigen Wirts Andreas Harner haben die Wirtschaft 1904 gekauft, als sie kaum mehr als eine einfache Waldschenke war.

Steckbrief von Sixtnitgern

Gemeinde: Odelzhausen

Einwohnerzahl: 277

Gründung von Sixtnitgern: vermutlich im 19. Jahrhundert

Gründung von St. Johann: möglicherweise geht der Ort auf eine römische Ansiedlung zurück. Erste urkundliche Erwähnung der Kirche St. Johann 1524

Größter Moment in der Geschichte: Die neue Weihe des Altars in der Kirche St. Johann 1707 durch Fürstbischof Johann Franz von Eckher

Wichtigste Einrichtungen: Harners Wirtshaus, Gärtnerei Modlinger

Sehenswürdigkeit: gotische Kirche in St. Johann

Bekannteste Persönlichkeit: Andreas Harnerrz

Sehr viel älter als Sixtnitgern selbst ist der Hof der Hubers in St. Johann unterhalb des Orts. Das Ensemble aus Wohnhaus und Wirtschaftsgebäuden könnte auf eine römische Siedlung zurückgehen. Die dazugehörende, dem Heiligen Johannes dem Täufer geweihte Kirche soll jedenfalls eine frühe Taufkirche gewesen sein. Erstmals urkundlich erwähnt wird das gotische Gotteshaus 1524 in der Sundorferschen Matrikel, in der von einer "Capella S. Joannis Baptistae in Greimertswickl" als einer der vier Filialkirchen der Pfarrei Sittenbach die Rede ist. "Greimertswinkel" ist die alte Bezeichnung für den abgelegenen "Winkel", in dem Kirche und Hof von St. Johann liegen. Ob eine Verbindung von St. Johann zu einer "Ferchenburg" oberhalb von Rossbach bestanden hat, an die heute nur noch Flurnamen erinnern, ist unklar. Nach der Säkularisation wurde die spätgotische Kirche eine Zeitlang als Schafstall genutzt; der damalige Sittenbacher Pfarrherr wollte sie sogar abreißen lassen und die Steine für die Friedhofsmauer oder die Schulhauserweiterung in Sittenbach verwenden. Erst 1829 wurde die Kirche nach einem Besitzerwechsel wieder instand gesetzt und als Gotteshaus genutzt.

Apian beschreibt St. Johann im 16. Jahrhundert als "villa in nemore magno", als "Landhaus im großen Forst". Den Einödhof muss es aber schon in sehr viel früherer Zeit gegeben haben: Bereits im Jahr 1390 wird in einer Urkunde ein Förster namens "Gremoldin im Greimoldswinkel" erwähnt. Als frühester namentlich bekannter Besitzer des immer schon zu Sittenbach und nicht zum nahen Sixtnitgern gehörenden Hofs wird 1612 ein Georg Seiz genannt. Spätere Besitzer hießen Grünwald oder Sedlmair, von denen mehrere der heutigen Sedlmayr in der Umgebung und auch der unter spektakulären Umständen ermordete Münchner Schauspieler Walter Sedlmayr herstammen. Ein Huber aus Poigern hat erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts in St. Johann eingeheiratet.

Spukgeschichten von umherirrenden Seelen

Nicht weit von dem idyllisch im "Winkel" gelegenen St. Johann stand auf der Anhöhe bei Sixtnitgern der Galgen des "Halsgerichts Hadersried", zu dem weite Teile der Umgebung gehörten. Vielleicht hat es mit diesem düsteren Kapitel Sixtnitgerner Geschichte zu tun, dass man sich heute noch allerhand Spukgeschichten von umherirrenden, unerlösten Seelen erzählt. Die vom "Schwarzen Kreuz" etwa, das vor kurzem noch im Wald zwischen Hohenzell und Sittenbach gestanden hat. Hier, am Grab dreier französischer Soldaten aus den napoleonischen Kriegen, sollte man möglichst nicht zur Geisterstunde vorbeikommen. Oder jene andere Geschichte eines Mannes, der sich nicht um den Erhalt der Thomas- oder Sixtuskapelle gekümmert hatte und der deshalb in St. Johann umgeht: Alle hundert bis 150 Jahre soll er sich mit lautem Schreien im Hof der Sanktjohannser bemerkbar machen.

Während noch in den Fünfziger- und Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts viele der alten, schlichten Häuser in Sixtnitgern verfielen, weil die jungen Menschen lieber in München als im Forst nach Arbeit suchten, hat sich das Bild des Orts mittlerweile stark verändert. Baugrund im Münchner Speckgürtel ist begehrt, manche Sixtnitgerner kehrten zurück, viele Neubürger zogen zu. Neue, komfortable Wohnhäuser entstanden, und aus der einstigen Waldschenke ist ein Gasthof mit gehobenem gastronomischem Angebot geworden. Die Ortsgeschichte aber dürfte vielen, die heute in Sixtnitgern leben, kaum noch geläufig sein - und zusammen mit diesem Wissen werden wohl auch die alten Legenden und Geistergeschichten immer mehr in Vergessenheit geraten.

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