SZ-Serie: Geschichten aus dem Dachauer Land, Folge 5:Das Glück der Einsamkeit

Stachusried hat vier Anwesen mit acht Bewohnern. Zum Einkaufen müssen sie weite Strecken fahren, doch die Menschen in dem Weiler schätzen die Ruhe.

Von Robert Stocker, Markt Indersdorf

Am Münchner Stachus pulsiert das Leben. Ein Meer von Autos umtost täglich den Platz, tausende Fußgänger strömen durch das Kaufinger Tor, den Eingang zur großen Einkaufsmeile im Herzen der Stadt. Hier in dem Weiler 46 Kilometer nordwestlich von München, tief im Dachauer Hinterland, gibt es so gut wie keinen Verkehr. Es sei denn, die Eglersrieder Schützen laden wie heuer zur großen Oldtimer-Show ein. Dann verirrt sich sogar Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt in diese Gegend, genauer gesagt ins benachbarte Puch. Viermal pro Tag passiert der Schulbus der Linie 729 den Ort. Darüber hinaus passiert hier nicht viel. Nur der Name des Weilers weckt Assoziationen an das Zentrum von München. Ansonsten ist es eine völlig andere Welt. In Stachusried herrscht idyllische Ruhe.

Kein Wunder bei acht Menschen, die in vier Anwesen leben. Die Gemeinde Markt Indersdorf, zu der Stachusried gehört, hat 10 000 Einwohner, drei Schulen, ein Krankenhaus und ein Hallenbad und liegt an der S-Bahn-Linie 2 Altomünster. Nur acht Kilometer vom Hauptort entfernt wohnen die Menschen im Niemandsland: Es gibt kein Wirtshaus, keine Kirche und keinen Laden. Das heißt, einen Laden ohne feste Geschäftszeiten gibt es doch. Brigitte Pfab führt mit ihrem Mann den Hannesbauernhof, einen Milchviehbetrieb mit 25 Kühen, Kälbern und Stieren. Insgesamt stehen etwa hundert Tiere im Stall. Wer das schmucke Anwesen betreten will, bekommt es erst einmal mit Hofhund Sari zu tun, der den Hannesbauernhof mit fletschenden Zähnen bewacht. Brigitte Pfab hat den Sau- und Hühnerstall in einen Ausstellungsraum für Gartendekoration und Floristik verwandelt. Zwar arbeitet die Mutter von zwei Söhnen, einem 14- und einem 16-Jährigen, noch immer im Stall. Ihr zweites Standbein ist seit 15 Jahren aber der Laden im Hof, in dem verspielte Einrichtungsgegenstände nach englischem Vorbild zu finden sind. "Ich brauchte etwas Schönes für mich", sagt die Landwirtin. Sie bietet auch Dekorationen für Hochzeiten an und organisiert die große Hochzeitsmesse im Gasthaus Doll in Ried. Dreimal im Jahr veranstaltet Brigitte Pfab eine Ausstellung auf dem Hof. Mittlerweile hat sie sich in der Branche einen Namen gemacht. Junge Paare, die heiraten wollen, kommen teilweise von sehr weit her, um sich von ihr beraten zu lassen. "Ihr wohnt's aber sehr idyllisch hier", bekommt die Hausherrin oft von Besuchern zu hören.

Für Brigitte Pfab, die auch Ortsbäuerin und Vorsitzende des Ainhofener Gartenbauvereins ist, überwiegen die Vorteile von Ruhe und Einsamkeit. Doch dass es kein Wirtshaus mehr gibt, findet sie schade. Vor drei Jahren machte die Wirtschaft in Ainhofen dicht, und die "Tränke", ein Stüberl im benachbarten Reiterhof, gibt es auch nicht mehr. "Jetzt haben die Vereine keinen Treffpunkt mehr", bedauert Pfab. Wenn sie in die Kirche gehen will, muss sie nach Eglersried oder Ainhofen fahren. Als ihre beiden Söhne noch in den Kindergarten gingen, legte sie die Strecke nach Markt Indersdorf täglich zweimal zurück. Zum Einkaufen fährt die Landwirtin in alle Richtungen, nach Indersdorf, Weichs oder Jetzendorf. "Man versucht, die Besorgungen zusammenzulegen, damit man nicht so oft so weit fahren muss." In einem kleinen Ort wie Stachusried hätten die Bewohner untereinander deutlich mehr Kontakt als in großen Orten, sagt Pfab. "Die Nachbarn kommen zum Ratsch vorbei."

"Sumpfiger Wohnsitz eines Starkhand"

Etwas abgelegen ist die hügelige Gegend seit alters her. In historischen Quellen ist von dem zur Pfarrei Weichs gehörenden Weiler "Starchantsried" die Rede, was so viel wie "sumpfiger Wohnsitz eines Starkhand" bedeutet. Arnold von Aufhausen übergab diese Liegenschaft um das Jahr 1200 an das Kloster Scheyern. Bis ins 18. Jahrhundert bestand der Weiler nur aus dem "Hammerhof"; von 1730 an wurde Stachusried in Hammerhof umbenannt, später erhielt der Weiler wieder seinen ursprünglichen Namen. Bis zum Herbst vergangenen Jahres war in diesem alten Anwesen ein Reitstall untergebracht, in dem sich auch das Stüberl "Die Tränke" befand. Die Pächter gaben den Reitstall auf und zogen nach Straßlach im Landkreis München.

Doch bald werden in den Hammerhof wieder Pferde einziehen. Besitzer Helmut Mühlich aus Karlsfeld lässt das Anwesen derzeit gründlich sanieren. "Ein Aufwand ohne Ende", wie er sagt. Die beiden großen Gebäude sind schon neu eingedeckt. Jetzt werden die feuchten Mauern trocken gelegt, ein Hauptproblem der Sanierungsarbeiten. Der ehemalige Saustall mit seinem schönen Gewölbe, in dem zuletzt "Die Tränke" untergebracht war, ist schon fast vollständig restauriert. Das Betriebsleiterhaus erhält eine neue Heizung, rund um die Gebäude werden Drainagen verlegt. Wegen der Feuchtigkeit müssen auch die Böden erneuert werden. "So was muss man mit Leidenschaft machen", betont Helmut Mühlich. In einigen Monaten werden im Stall vier bis sechs Pferde stehen, die in der Reithalle mit Kindern ihre Runden ziehen. Die Tiere erfüllen einen besonderen Zweck: Sie dienen als Therapie für verhaltensgestörte Kinder. "Eine gute Sache", wie Mühlich findet. Als er das Anwesen kaufte, war es noch eine Landwirtschaft. Aus dem ehemaligen Reitstall wird jetzt ein Therapie-Reiterhof. Pächter hat der Karlsfelder schon gefunden. Wenn sie in das Anwesen ziehen, wächst die Zahl der Einwohner in Stachusried von acht auf zehn.

Der Boden ist hier immer kalt und feucht

Auch das Anwesen von Heidemarie Rückerl war früher eine kleine Landwirtschaft. Die 59-Jährige ist eigentlich eine "Zuagroaste", aber trotzdem eine waschechte Bayerin. Weil ihre Mutter nach Lenggries geheiratet hat, wuchs sie in dem oberbayerischen Fremdenverkehrsort auf. Von der Mama erbte sie dann das Haus in Stachusried, in dem sie seit 2003 ganz alleine lebt. Gleich hinter ihrem Garten beginnt die freie Natur. "Um mein Haus streichen alle möglichen Viecher", erzählt die Stachusriederin. Kein Wunder, hier sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht. Dass sie allein lebt, beunruhigt sie nicht. "Ich bin Einsamkeit gewohnt und immer beschäftigt. Und in der heutigen Zeit darf man sowieso keine Angst haben."

Ihr Bruder fährt manchmal mit dem Motorrad von Lenggries hierher, die Strecke beträgt exakt 100,7 Kilometer. Auch Heidemarie Rückerl hat natürlich einen fahrbaren Untersatz, den sie in erster Linie zum Einkaufen oder für Ausflüge braucht. "Ohne Auto brauchen'S hier nicht rausziehen", betont die 59-Jährige. In ihrem Garten zieht sie keine Nutzpflanzen mehr. Der Boden sei immer kalt und feucht, deshalb wachse nichts. Möglicherweise seien daran die Solaranlagen schuld, die die Sonnenwärme absorbieren. Auch von Windrädern hält Heidemarie Rückerl nicht all zu viel.

Mit dem Handyfunkmasten in einem Waldstück an der Straße nach Puch kann sie sich überhaupt nicht anfreunden. Sie befürchtet, dass die Funkwellen schädlich für die Gesundheit sind. Deshalb dichtet sie ihr Haus derzeit völlig ab. Ob in Stachusried einmal etwas Aufsehenerregendes passiert sei? Die 59-Jährige erinnert sich an einen Busunfall, der die Bewohner aufgeschreckt hat. Und Gesprächsstoff liefert hin und wieder immer noch ein Doppelmord, der während des Krieges in der nahe gelegenen Einöde Grainhof begangen wurde. Einsamkeit kann eben auch gefährlich sein.

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