Hospiz:"Der Luxus, den wir mitbringen, ist Zeit"

Melanie Fuchs betreut als ehrenamtliche Sterbebegleiterin Menschen am Ende ihres Lebens.

Von Julian Erbersdobler, Dachau

Wenn bei Melanie Fuchs das Handy klingelt, kann es auf einmal ganz schnell gehen. Dann ruft ihre Kollegin des Elisabeth-Hospizvereins Dachau an und fragt, ob sie Zeit hat. Zeit einen todkranken Menschen auf dem letzten Lebensweg zu begleiten. Ehrenamtlich. Im Interview spricht die 42-jährige Karlsfelderin über letzte Wünsche der Patienten, Trauerarbeit und das Gefühl, etwas Gutes zu tun.

SZ: Was brachte Sie auf die Idee, sich als ehrenamtliche Hospiz-Begleiterin zu engagieren?

Melanie Fuchs: Vor fünfeinhalb Jahren ist mein Sohn ganz plötzlich gestorben. Das war sehr hart, damit hat keiner gerechnet. Aber ich bin ein Mensch, der versucht, in allem im Leben einen Sinn zu finden. Uns hat in der letzten Phase im Krankenhaus sehr viel gefehlt. In der Zeit danach habe ich mich dann im Internet umgesehen und bin auf den Elisabeth-Hospizverein in Dachau gestoßen.

Der Leitspruch der Hospizbewegung lautet "Leben bis zuletzt". Was verstehen Sie darunter?

Sterbebegleitung

Das Leben soll bis zuletzt lebenswert sein - so schlimm die Krankheit des Sterbenden auch ist.

(Foto: dpa)

Für mich bedeutet es, dass ein Mensch in Würde stirbt. Das Leben soll bis zuletzt lebenswert sein - so schlimm die Krankheit des Sterbenden auch ist.

Wie schaffen Sie das während Ihrer Sterbebegleitungen?

Das kann ich am besten an einem Beispiel erklären. Kurz vor dem Tod können viele Betroffene nicht mehr richtig essen und trinken. Damit wird die Lebensqualität natürlich eingeschränkt, aber es gibt ein paar Tricks. Eiswürfel zum Beispiel. Wenn ein Mann sehr gerne Bier trinkt, dann können wir ihm keine Flasche geben, aber dafür Eiswürfel mit Biergeschmack. Das gleiche gilt für eine Frau, die Kaffee bevorzugt. Manchmal setzen wir uns auch einfach ans Bett und lesen Geschichten vor.

Also Dinge, für die im Krankenhaus oder Altenheim kein Personal zur Verfügung steht.

Ganz genau. Der Luxus, den wir mitbringen, ist Zeit. Wir können auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten eingehen und ihnen Wünsche erfüllen, die sonst wohl unerfüllt blieben.

Können Sie das Gefühl beschreiben, das in Ihnen ausgelöst wird, wenn Sie jemandem noch etwas Gutes tun können?

Es ist Freude. Das spüre ich immer in meinem Bauch, an einer ganz bestimmten Stelle. Dann habe ich immer das Gefühl, etwas absolut Sinnvolles getan zu haben.

Hospizhelferin

Ein Mensch soll in Würde sterben, sagt Melanie Fuchs.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Die Ausbildung zur Sterbebegleiterin dauert ein dreiviertel Jahr. Wie wird man auf die Arbeit vorbereitet?

Zunächst gibt es ein Grundseminar, das sich über acht Abende erstreckt. Hier geht es vor allem um Hospiz-Arbeit im Allgemeinen. Im Vorbereitungsseminar von Oktober bis Juli wird es konkreter. Es geht um rechtliche Aspekte und praktische Dinge, aber zum Beispiel auch darum, wie unterschiedliche Religionen mit dem Tod umgehen. Medizinisches Hintergrundwissen spielt auch eine Rolle, Medikamente dürfen wir aber nicht verabreichen.

Nach einer Praktikumsphase ging es direkt in Ihre erste Begleitung. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

Vom Emotionalen her war das einer der schwierigsten Einsätze, die ich überhaupt hatte: eine schwer krebskranke Frau Anfang 70. Trotz starker Morphium-Therapie litt sie unter Schmerzen. Und diese Schmerzen musste ich auch irgendwie mit aushalten. Mehr konnte ich für sie nicht tun. Ich war einfach für sie da, bis sie eine Woche nach unserem ersten Kontakt starb. Auch wenn es hart war, letztlich bin ich daran gewachsen.

Tod und Trauer

Der Elisabeth-Hospizverein Dachau wurde 1998 gegründet. Seither steht die ambulante Arbeit im Mittelpunkt des gemeinnützigen Vereins, den neben Spenden etwa 140 Mitglieder mit ihren Beiträgen finanzieren. In Seminaren werden ehrenamtliche Hospizbegleiterinnen und Hospizbegleiter ausgebildet. Sie helfen Menschen in ihrer letzten Lebensphase und sind für sie da, zu Hause, im Krankenhaus oder Pflegeheim. Zu den weiteren Aufgaben des Vereins gehört es, in Seminaren und Vortragsveranstaltungen die Fragen um Sterben, Tod und Trauer aufzugreifen. Das Büro befindet sich im Caritas-Zentrum Dachau, Landsberger Straße 11. Telefonisch zu erreichen ist der Elisabeth-Hospiz-Verein unter 0 81 31/ 2 98-10 06. Weitere Informationen gibt es auf der Website www.hospizverein-dachau.de. jerb

Seit drei Jahren sind Sie ehrenamtliche Sterbebegleiterin, haben acht Menschen betreut. Haben Sie schon alles erlebt?

Es sind immer wieder andere Herausforderungen. Die Zeitspannen unterscheiden sich von Fall zu Fall. Die eine Begleitung umfasst beispielsweise nur drei Besuche, eine andere dauert drei Monate lang.

Wie verhält sich die Ehefrau eines schwerkranken Mannes, wenn Sie während der Betreuung - zum Wohl des Patienten - in die Privatsphäre der Familie eindringen?

Das ist nicht immer einfach, besonders am Anfang. Man muss erst einmal eine Beziehung aufbauen. Schwierig wird es vor allem, wenn sich nach mir noch ein Arzt, ein Pfleger und ein Therapeut die Klinke in die Hand geben.

Wie gehen Sie damit um, wenn einer Ihrer Patienten stirbt?

Wenn es geht, versuche ich zur Beerdigung zu gehen. Und ich spreche, natürlich unter Einhaltung der Schweigepflicht, darüber. Das hilft mir dabei, Dinge zu verarbeiten. Außerdem weiß ich schon vor der Betreuung, dass der Mensch todkrank ist und bald sterben wird. Dadurch fällt mir der Abschied etwas leichter. Im privaten Umfeld ist das anders. Anfang des Jahres ist eine gute Bekannte von mir gestorben. Das hat mich sehr mitgenommen. Das war eine andere Qualität von Trauer, aber auch ein bisschen beruhigend, weil ich durch meine Arbeit nicht abgebrüht bin.

Sie haben vorher vom Sinn des Lebens gesprochen. Haben Sie ihn denn gefunden?

Ich fühle mich so, als wäre ich angekommen. Meine Arbeit fühlt sich gut an.

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