SZ-Forum "Unsocial Networks (?)":Lernen 2.0

Das Kultusministerium lässt an 46 Projektschulen testen, wie Lernen im Web aussehen könnte. Der SPD-Bildungsexperte Martin Güll fordert darüber hinaus spezielle Lernmethoden.

Von Gregor Schiegl

Schüler probieren Tablet-PC im Unterricht aus

Lernen mit Tablets statt Heften, das soll in Hamburger Schulen nun probeweise eingeführt werden.

(Foto: Arne Dedert7dpa)

Auf seiner Facebook-Seite schwärmt Martin Güll vom Auftritt des bayerischen SPD-Spitzenkandidaten Christian Ude im Indersdorfer Volksfestzelt. "Die Hütte ist voll, die Stimmung super! Und Christian hält eine flammende Rede." In dieser Rede lobte Ude auch den Dachauer Landtagsabgeordneten und bildungspolitischen Sprecher der SPD in höchsten Tönen. Seitdem haben die Dachauer Genossen keinen Zweifel mehr, dass unter einem Ministerpräsidenten Ude auch ein Kultusminister Martin Güll am Kabinettstisch sitzen wird. Falls es Ude und seine Bayern-SPD packen sollten.

Aber ganz gleich, ob dem ehemaligen Leiter der Hauptschule Indersdorf die politischen Weihen eines Ministers zuteil werden oder nicht. Wenn es um Schulpolitik geht, hören die Leute zu, was Güll zu sagen hat. Als jüngst die Initiative der Landfrauen die Forderung nach einem eigenen Fach "Lebenskunde" erhob, in der die Schüler Dinge des täglichen Lebens lernen sollen, richtig kochen und putzen, zeigte er klare Kante. Ganzheitliche Bildung gerate an den Schulen immer mehr ins Hintertreffen - deswegen unterstütze er die Idee.

Was ein Schulfach Medienkunde betrifft, ist der SPD-Politiker allerdings zurückhaltender. Wie man Facebook nutzt, dort chattet, Bilder einstellt, Seiten verlinkt, das wissen die Jugendlichen meist besser als die Erwachsenen, sagt Güll. Aber über die Folgen eines allzu sorglosen Umgangs seien sie sich eben oft gar nicht bewusst. "Die Arbeitgeber schauen heute auch auf Facebook." Laszive Selbstporträts oder Bilder exzessiver Gelage machen sich da nicht so gut. Deswegen müsse die Schule den Schülern "ein kritisches Medienbewusstsein" vermitteln - aber auch noch ein "besseres technisches Handling".

Güll hat in seiner Zeit als Lehrer nämlich feststellen müssen, dass sich manche Schüler oft eben doch noch nicht so souverän und sicher durchs Internet bewegen, wie es den Anschein hat. Da würden auch schon mal Angaben einer Extremistenseite für bare Münze genommen und unreflektiert im Religionsreferat als Tatsachen wiedergegeben - nur weil die Quelle unter den ersten Treffern in der Suchmaschine zu finden war.

Eine gute Internet-Recherche erfordert nicht nur technisches Geschick, sondern auch eine kritische Überprüfung und Einordnung der Ergebnisse. Das muss man lernen. Und das muss man üben. Güll plädiert für mehr Internet-Recherche im Schulunterricht, fächerübergreifend. "Man muss die Themen sinnvoll vernetzen." Dazu müsse man den Schulen aber auch entsprechende Budgetmittel bereitstellen: Zeit und Geld. Ob sich des Themas Neue Medien dann einige junge online-affine Lehrer annähmen oder externe Experten, ist aus seiner Sicht völlig egal. "Hauptsache, es wird gemacht."

Martin Güll hält es für überfällig, dass dazu auch die bayerischen Lehrpläne gründlich durchgeforstet und überarbeitet werden. Heute steht in fast jedem Haushalt ein PC oder Tablet Computer, der Großteil der Schüler hat ein eigenes Smartphone. Diese neue Lebenswirklichkeit bilde sich im Unterricht bislang aber noch kaum ab. Man könnte auch sagen: alles Old School.

Das hat mittlerweile offenbar auch die Staatsregierung erkannt. 46 Projektschulen werden in den kommenden drei Schuljahren erproben, wie webgestützte Lern- und Übungsangebote die Schüler in ihrem individuellen Lernfortschritt vor allem in Mathematik und im naturwissenschaftlichen Bereich unterstützen können. "Lernen 2.0" nennt sich das Modellprojekt, das "die Schüler in ihrer Lebenswirklichkeit abholen" soll, wie Staatssekretär und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Bildungspakt Bernd Sibler feierlich verkündet hat. Zwei Schulen aus München sind mit am Start, aus dem Landkreis ist allerdings keine dabei.

Martin Güll hält das Ziel dieser Initiative zwar für richtig, aber nicht die Vorgehensweise: "Man macht hier den zweiten Schritt vor dem ersten", kritisiert er. Es reiche nicht, das Schulbuch einfach durchs Notebook zu ersetzen, die Lernmethoden müssten auch an die Neuen Medien angepasst werden. Und das bedeute ganz neue Lernmethoden, ein völlig neues Konzept von der Schule: Statt einen Klassenverband zu unterrichten, müssten die Lehrer ihre Schüler in ihren "individualisierten, selbstaktiven Lernprozessen" begleiten. Jeder Schüler könne dann selbst entscheiden, wie tief er in ein Thema einsteigt und welche Schwierigkeitsstufe er wählt.

Dass das sinnvoll sei, belegten die Forschungen der Neurobiologen, sagt Martin Güll: "Erfolgserlebnisse sind die stärkste Motivation." Das gelte auch fürs Lernen: Wer sich unterfordert fühlt, steige schnell aus, ebenso derjenige, der überfordert ist. Es klingt alles sehr plausibel. Und sehr verlockend: Lernziele und nicht mehr nur Lerninhalte, motiviertere Schüler im Unterricht, mehr Spaß in der Schule - für alle.

Und doch hat das Konzept einen Haken: Es kostet Geld. "Wir bräuchten auch entsprechende Geräte für die Schüler", sagt Güll. Und auch wenn der SPD-Politiker sagt, dass ja nicht jeder Schüler ein eigenes Notebook brauche, weiß er sehr wohl, dass diese Investitionen Millionen kosten würden, zumal sich die SPD für eine "komplette Lehrmittelfreiheit" ausspricht. Das Schulwesen müsste dafür komplett umgekrempelt werden. Güll weiß das. Aber findet: "Wer A sagt, muss auch B sagen."

Der Facebook-Seite des SPD-Landtagsabgeordneten kann man auf www.facebook.com/mdl.martin.guell besuchen.

"Unsocial Networks (?) - was machen die Neuen Medien mit unseren Kindern?" Mit dieser Frage beschäftigt sich das SZ-Forum am Montag, 10. Juni, um 19.30 Uhr im Ludwig-Thoma-Haus, Augsburger Straße 23 in Dachau. Es diskutieren Sabrina Andersen, Fachlehrerin der Mittelschule Dachau Ost, Noemi Nedelcev und Johannes Richter, Schüler des Ignaz Taschner Gymnasiums Dachau, Ekkehard Sander, Jugendforscher am Deutschen Jugendinstitut München, und Björn Friedrich, Autor des "Facebook-Buchs für Eltern". Moderation der SZ-Veranstaltung: Helmut Zeller und Gregor Schiegl. Eintritt ist frei.

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