SZ-Benefizkonzert:Geschichten und Geschichte

SZ-Chefredakteur Kurt Kister verbindet in seiner Lesung beim SZ-Benefizkonzert zugunsten des Adventskalenders Glossen und Kolumnen über Politik und Gesellschaft mit einem Rückblick auf seine Zeit als Jugendlicher in Dachau.

Von Dorothea Friedrich

SZ-Benefizkonzert: Großer Applaus für SZ-Chefredakteur Kurt Kister (von links), Pianist Robert Probst, Sängerin Julia von Miller, Gitarrist Dieter Holesch und Bassist Ludwig Leininger auf dem Benefizkonzert zugunsten des SZ-Adventskalenders im Ludwig-Thoma-Haus in Dachau.

Großer Applaus für SZ-Chefredakteur Kurt Kister (von links), Pianist Robert Probst, Sängerin Julia von Miller, Gitarrist Dieter Holesch und Bassist Ludwig Leininger auf dem Benefizkonzert zugunsten des SZ-Adventskalenders im Ludwig-Thoma-Haus in Dachau.

(Foto: joergensen.com)

Für viele SZ-Leser heißt es ganz à la Loriot: "Ein Leben ohne Streiflicht ist möglich, aber sinnlos." Die Kolumne gehört für sie zum Morgenritual wie der Kaffee. Wenn also ein Streiflicht-Autor beim Weihnachtskonzert der Süddeutschen Zeitung Dachau liest, ist volles Haus garantiert. Wenn er dann noch Kurt Kister heißt, gebürtiger Dachauer und Chefredakteur der SZ ist, herrscht Platzmangel im Ludwig-Thoma-Haus, wie sich am Mittwochabend zeigte. Wobei sich Kurt Kister die Gunst des Publikums mit dem hinreißenden Julia von Miller Quartett teilte.

"Eine ideale Kombination", wie viele Zuhörer fanden. Unter denen waren nicht wenige, die mit Kister die Schulbank im Josef-Effner-Gymnasium gedrückt hatten. Sie verwandelten den Sektempfang vor dem Konzert und die Pause in eine Art Klassentreffen, Histörchen aus dem Schülerleben eingeschlossen. Da wehte durch den Stockmann-Saal ein heiteres Lüftchen der Erinnerung an unbeschwerte Zeiten. Das sind Zeiten, die Kinder und Jugendliche im Landkreis nicht erleben können, weil sie arm, chronisch krank behindert oder Flüchtlinge sind. Ein Schicksal, das sie mit immer mehr alten Menschen teilen, die in die Armutsfalle geraten sind, wie SZ-Redaktionsleiter Helmut Zeller eindrücklich schilderte. Ihnen hilft der Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung nicht nur finanziell. Er vermittele auch das Gefühl, nicht alleine zu sein, sagte Zeller. Denn wie alle Jahre kommt auch heuer der Erlös des Konzerts dem SZ-Adventskalender zugute.

Christian Krügel, Leiter der Redaktion München, Region und Bayern sowie Vorsitzender des Adventskalender-Vereins nannte eine beeindruckende Zahl: "19 000 Menschen haben sich 2012 für den Adventskalender eingesetzt. Das ist die eigentlich gute Botschaft". Eine, die sich ganz besonders engagiert hat, ist Claudia Strasser, Geschäftsführerin des SZ-Adventskalenders, "Herz und Kopf dieser Aktion", wie Helmut Zeller sagte. Nun geht sie in Rente. Gekommen war auch SZ-Geschäftsführer Detlef Haaks. Nicht weil der Chefredakteur dieser Zeitung las, wie er ausdrücklich sagte, sondern weil der SZ-Adventskalender immense Bedeutung habe.

Und was las Kurt Kister? "Was ist meine Heimat?" als Auftakt, geschrieben im Jahr 1990. Eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit Dachau, einer "Kleinstadt mit intakter Sozialstruktur und widerwilligem Desinteresse" an ihrer Vergangenheit. Das sorgte für so manches zustimmende Kopfnicken. Bei Bruno Schachtner beispielsweise, einem der Kämpfer für das Jugendgästehaus oder bei all denen, die als Flüchtlingskinder in den Baracken des ehemaligen Konzentrationslagers wohnten. Von Dachau spannte Kister einen weiten Bogen zur großen und kleinen Politik, aber auch zum täglichen Leben. Oft im satirischen Blick: Angela Merkel, ihre Politik, ihre Sprache, ihr Tonfall: "So als würde sie sagen: vier Winterreifen, bitte". Und die SPD? "Wenn Peer Steinbrück ein Tellergericht wäre, wäre er Labskaus mit Apfelmus und süß-saurer Soße". Dass es in Dachau erstmals einen SPD-OB-Kandidaten gebe, "der nicht Koch heißt, das bringt einen doch zum Nachdenken", sagte er. Für Nichteingeweihte: Volker C. Koch und Kister haben zusammen Abitur gemacht.

"Brillanter geht's nicht", sagte beispielsweise Gudrun Cremers aus Karlsfeld in der Pause. Heiter, locker, unprätentiös nahm Kister die (männliche) Subspezies der "Kleidungsbarbaren" mit ihren dreiviertellangen Hosen ins fast kabarettistische Visier. Das sind die Zeitgenossen, "die mehr Quergestreiftes und Besticktes tragen, als dem lieben Gott gefallen könnte". Aber auch die Smartphoneritis kam nicht ungeschoren davon. Habe doch das Mobiltelefon "den Grad der Zivilisierung erheblich herabgesetzt" und werde nur dadurch übertroffen, dass man Urlaubsfotos nur noch macht, "weil das Telefon Fotos machen kann". Ein nicht vorweihnachtlicher Abend also.

Die Meinung des Publikums dazu: Volksbank Raiffeisenbank Vorstandssprecher Thomas Höbel, dessen Institut seit vielen Jahren das Adventskonzert großzügig sponsert, war begeistert von dem "guten Kontrastprogramm aus schmissiger Musik und Lesung". Brigitte Fiedler fand die Veranstaltung "spritzig, witzig. Man kann stundenlang zuhören. Und man sieht, wie sich die Welt seit 1990 verändert hat. Das lässt einen in Dachau froh sein, dass sich so viel verändert hat. Aber das Weihnachtliche fehlt ein bisschen." Florian Hartmann, SPD-Kandidat fürs Oberbürgermeisteramt bewegte die Frage: "Kann der Mann hellsehen? Der hat schon vor Jahren geschrieben, was jetzt eingetroffen ist." Für Toni Cremers, Präsident des TSV Eintracht Karlsfeld war es "bewundernswert, dass die SZ schon seit so vielen Jahren zum Spenden begeistert." Besonders berührt habe ihn Kurt Kisters Auseinandersetzung mit seiner Heimat: "Die hat uns das Lebensgefühl von damals wiedergegeben, auch wenn wir Karlsfelder sind."

Berührt wirkte auch der SZ-Chefredakteur. Er sei verblüfft über die vielen Menschen, "die mich noch im Zustand völliger Unbehaartheit in Erinnerung haben", sagte Kister. Auch in dieser Hinsicht also ein Geschichten- und Geschichtsabend.

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