SZ-Adventskalender:An den Grenzen der Belastbarkeit

Eine an sich harmlose Kinderkrankheit machte ein erst zweijähriges Mädchen zum Pflegefall. Die Eltern müssen rund um die Uhr ihre Tochter betreuen.

Petra Schafflik

- Immer wieder denken Markus und Katharina T. (alle Namen geändert) an die Zeit, in der sie mit ihren drei Kindern ein ganz normales Familienleben geführt haben. Als sich dann alle gleichzeitig mit einer harmlosen Kinderkrankheit angesteckt hatten, war das noch lange nicht Anlass zur Sorge. Plötzlich aber nahm diese Erkrankung bei der damals zweijährigen Sophie einen unerwartet schweren Verlauf, mehrere Ärzte schätzten die Komplikationen vollkommen falsch ein. Das zuvor springlebendige, fröhliche Mädchen musste in eine Klinik gebracht werden, das Krankenhaus verließ das Kind als schwerst geistig- und körperlich behinderter Mensch. "Es vergeht kein Tag, an dem man sich nicht fragt, wie man das Schicksal hätte aufhalten können", sagt Katharina T. nachdenklich. "Das Glück wurde uns so brachial genommen." Seit fünf Jahren hat die Familie jetzt ihren gesamten Alltag auf die Bedürfnisse der heute siebenjährigen Sophie ausgerichtet. Das Mädchen kann keine gezielten Bewegungen ausführen, nicht sprechen und sie muss per Magensonde ernährt werden. Um gefährlichen Atemwegserkrankungen vorzubeugen, absolvieren die Eltern mit der Tochter ein umfangreiches Programm, "wir müssen viel mit ihr turnen, klopfen, inhalieren, das ist enorm zeitaufwändig", erzählt Katharina T. Auch nachts muss Sophie permanent überwacht und regelmäßig umgelagert werden. Bei der intensiven Pflege erhält die Familie Unterstützung von einem Pflegedienst, tagsüber besucht Sophie eine spezialisierte Schule. Doch die Hauptlast bleibt bei den Eltern, vor allem bei der Mutter, die sich nicht vorstellen kann, parallel zur aufwändigen Pflege in absehbarer Zeit wieder berufstätig zu sein. "Ein Leben mit Kindern braucht immer eine gewisse Regelmäßigkeit." Aber die Pflege von Sophie ringe der Familie eine unvergleichlich viel striktere, bis auf die Minute durchgetaktete Disziplin ab. Auch soziale Kontakte leiden. Denn im Rollstuhl sitzt Sophie nicht gern, das lässt sie auch ohne Worte deutlich erkennen. Also verbringt das Kind viele Stunden zu Hause wohlbehütet in den Armen von Vater oder Mutter. Gemeinsame Aktivitäten außer Haus hat die Familie deshalb abgeschrieben. Immer nur ein Elternteil kann mit den beiden gesunden Kindern etwas unternehmen. "Da fühlt man sich immer wie alleinerziehend", sagt Katharina T.

Bei aller Anstrengung und Belastung wird Sophie von ihren Eltern wie auch von den beiden Geschwistern herzlich geliebt. "Sie ist ein so fröhliches und liebesbedürftiges Kind", erzählt die Mutter und streicht sanft über die Schulter der Tochter, die ruhig und entspannt in den Armen des Vaters liegt. Ganz selbstverständlich wird Sophie, die "so gerne betütelt wird", in das Familienleben integriert. Markus und Katharina T. haben auch bereits entschieden, Sophie langfristig zu Hause zu betreuen. Selbst wenn die Tochter erwachsen wird, werden die Eltern für sie da sein. "Wir wollen ihr soviel Familie mitgeben wie möglich", sagt Katharina T. Doch langsam gerät die Leistungsfähigkeit der Eltern an Grenzen. Denn das Haus, in das die Familie kurz vor Sophies Erkrankung eingezogen ist, kann nur über eine lange Treppe erreicht werden. Noch trägt Katharina T. das Mädchen täglich vom Schulbus hinauf zur Haustür. Lange wird das nicht mehr gehen, die Sturzgefahr ist groß und bald wird ihr Rücken diese Belastung nicht mehr mitmachen. Ein Außenaufzug wäre die einzig praktikable Lösung. Das haben die Eltern gemeinsam mit den Experten der Wohnberatungsstelle für barrierefreies Bauen erarbeitet. Doch die hohen Baukosten, die sich im mittleren fünfstelligen Bereich bewegen, kann die Familie nicht schultern. Zumal es damit nicht getan ist. Auch ein Umbau des Badezimmers steht noch an, ein speziell angepasster Kleinbus muss angeschafft werden, weil Sophie samt Rollstuhl im Familienauto nicht mehr Platz hat. Die Pflegekasse zahlt für Baumaßnahmen pauschal 2557 Euro. Aber selbst dieser Betrag wurde erst einmal abgelehnt. "Vom Schreibtisch aus wird das entschieden, niemand hat unsere konkrete Situation angeschaut", ärgern sich die Eltern. Auch mit diesem Zuschuss reichen die Ersparnisse der Familie bei weitem nicht, um den Umbau komplett zu finanzieren.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: