Sulzemoos:Es konnte jeden treffen

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Jakob Hartmann und Albert Vettermann - zwei Sulzemooser Schicksale in der NS-Zeit, denen die Ausstellung "Das Lager und der Landkreis" nachgeht

Von Renate Zauscher, Sulzemoos

"Das Lager und der Landkreis": Das Biografieprojekt der Geschichtswerkstatt Dachau will mit diesem Teilprojekt unter der Leitung von Sabine Gerhardus und Annegret Braun das Leben vergessener Persönlichkeiten erforschen, die mit dem Landkreis zu tun hatten und im Konzentrationslager Dachau inhaftiert waren. Nach mehreren Stationen in anderen Landkreisgemeinden ist die Ausstellung, die im Zusammenhang mit dem Projekt erarbeitet wurde, jetzt in Sulzemoos zu sehen.

Erinnerung ist wichtig: Das betonten bei der Ausstellungseröffnung in Sulzemoos sowohl Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler als auch Landrat Stefan Löwl und der Sulzemooser Bürgermeister Gerhard Hainzinger. Dass das Bewusstsein, Erinnerung wach halten zu müssen, aber auch bei vielen anderen Menschen durchaus lebendig ist, zeigte der gute Besuch am Eröffnungstag: Der Sitzungssaal im Rathaus war bis auf den letzten Platz besetzt. Zwei Personen, deren Lebenslauf mit der Gemeinde in besonderer Weise verbunden ist, stehen in der Ausstellung im Mittelpunkt: Jakob Hartmann (1897 bis 1963) wurde als Sohn einer Sulzemooser Landwirtsfamilie geboren und lebte bis zu seiner Einheirat in ein landwirtschaftliches Anwesen in Waltenhofen in der Heimatgemeinde. Der Handlungsgehilfe Albert Vettermann (1900 bis 1942) aus Chemnitz dagegen arbeitete 1937 beim Bau der Autobahn A 8 mit und lebte in dieser Zeit in einem Reichsautobahn-Lager in Wiedenzhausen, später dann kurz in Sulzemoos und Dachau.

Das Biografieprojekt "Das Lager und der Landkreis" erzählt die Geschichte des KZ-Häftlings Jakob Hartmann aus Sulzemoos. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Im Fall von Albert Vettermann gibt es allerdings nur wenige Quellen, die an das Leben des Mannes erinnern, für den 2015 ein Stolperstein in der Großen Kreisstadt Dachau gesetzt wurde. Vettermann war homosexuell; eine Liebesbeziehung mit einem Arbeitskollegen führte 1937 zu seiner Verhaftung. Er wurde zu einem mehrjährigen Gefängnisaufenthalt verurteilt, nach der Entlassung aus Gefängnis und Zuchthaus erneut verhaftet und schließlich 1942 ermordet.

Bei Jakob Hartmann liegen die Dinge anders. Was ihm zum Verhängnis wurde, war wohl ein einziger Satz: In Unterlagen aus dem Bezirksamt Dachau wird seine Festnahme 1934 mit einer "Verächtlichmachung des Winterhilfswerks und seiner Mitarbeiter" begründet. Hartmann hatte einen anderen Sulzemooser Landwirt bei dessen Sammeltätigkeit für das Winterhilfswerk spöttisch gefragt, ob er es nötig habe, "betteln zu gehen". Der Satz brachte Hartmann für zwei Monate in "Schutzhaft" und in das Konzentrationslager Dachau. Allerdings war Hartmann von Anfang an sehr kritisch gegenüber dem Nationalsozialismus eingestellt und hatte laut eigener Auskunft schon im Vorfeld von Hitlers Machtübernahme Versammlungen von Nationalsozialisten zusammen mit dem aus Sulzemoos stammenden späteren Landwirtschaftsminister Josef Baumgartner "gesprengt".

Während des Krieges entging Jakob Hartmann nur knapp einer erneuten Verhaftung: Ein SS-Mann aus Waltenhofen sollte den Brief eines Denunzianten an seiner Arbeitsstelle, dem Besoldungsamt der Waffen-SS im Konzentrationslager, abgeben, öffnete das Schriftstück aber und ließ es verschwinden. Annegret Braun, die das Leben Hartmanns erforscht hat und seine Vita jetzt auch in Sulzemoos vorstellte, entdeckte auf Hinweis von Hartmanns Töchtern Anni Bergmeier und Else Hatzl in der Spruchkammerakte des SS-Mannes eine Eidesstattliche Erklärung Hartmanns, in der er nach dem Krieg unter anderem die Umstände seiner Lagerhaft und seiner politischen Einstellung schildert: Für Annegret Braun ein ebenso überraschender wie wichtiger Fund.

Anders als bei Albert Vettermann gibt es vieles, was an Hartmanns sehr wechselvolles Leben als Knecht und kleiner Landwirt, als begabter, in vielen Funktionen tätiger Musiker, als Handelsvertreter und Friseur erinnert. In einer der Ausstellungsvitrinen liegen Familienfotos und ein Büchlein, in dem er seine Auftritte als Musiker verzeichnet hat, daneben andere persönliche Gegenstände, die seine Familie aufbewahrt hat.

Was die Ausstellung, die noch bis Mitte März zu sehen ist, aber vor allem vermittelt: Sie macht auf beklemmende Weise deutlich, dass Verfolgung bis hin zum Mord in den zwölf Jahren des NS-Regimes nicht nur "andere" erlitten: Es konnte jeden treffen, auch den Nachbarn, die Mitbürger im Ort, einen selber. "Pass auf, sonst kommst nach Dachau": Dieser Satz hat die allermeisten Menschen zum Schweigen gebracht, einem Schweigen, das oft noch jahrelang nach dem Ende des nationalsozialistischen Terror-Regimes anhielt.

© SZ vom 01.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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