Sulzemoos:Eine Spurensuche

Sulzemoos: Jakob Hartmann war sehr musikalisch. Er spielte schon mit acht Jahren in der Kirche die Orgel.

Jakob Hartmann war sehr musikalisch. Er spielte schon mit acht Jahren in der Kirche die Orgel.

(Foto: oh)

Biografieprojekt "Das Lager und der Landkreis" erzählt die Geschichte des KZ-Häftlings Jakob Hartmann aus Sulzemoos

Von Annegret Braun, Sulzemoos

"Da war einer bei uns im Dorf, der hat gegen die Nazis g'schimpft und dann ist er nach Dachau kemma." Genaueres wussten die Leute aus Sulzemoos nicht. Oft ist es nur ein Hinweis, der am Anfang der Spurensuche steht. Das Biografieprojekt der Geschichtswerkstatt "Das Lager und der Landkreis" unter der Leitung von Sabine Gerhardus forscht nach vergessenen Persönlichkeiten im Landkreis, die im Konzentrationslager inhaftiert waren. Jakob Hartmann aus Sulzemoos war einer von ihnen. Dokumente zeigten zwar, dass er 1934 im Amtsgerichtsgefängnis Dachau inhaftiert war, wegen "Verächtlichmachung des Winterhilfswerks", aber es gab keinen Beleg dafür, dass er im Konzentrationslager war, auch nicht im Häftlingsverzeichnis der Gedenkstätte. Erst nach Interviews mit Hartmanns Töchtern wurde klarer, wer Jakob Hartmann war und was damals geschah. Dann fand sich der entscheidende Beweis - in der Akte eines jungen SS-Angehörigen.

Jakob Hartmann, geboren 1897, arbeitete als Knecht, Pferdepfleger und Schweizer auf dem Schlossgut Sulzemoos. Außerdem war er sehr musikalisch. Schon mit acht Jahren spielte er in der Kirche die Orgel; später bekam er eine Stelle als Chorregent. Als er 1940 in Waltenhofen in eine kleine Nebenerwerbslandwirtschaft einheiratete, hatte er neben der Musik noch andere Erwerbsquellen: Er richtete Ochsen als Zugtiere ab und im Winter ging er zu den Höfen, um Kartoffeln für Schweinefutter zu dämpfen. Außerdem arbeitete er auch als Vertreter von Versicherungen, Waschmitteln, Seifen und Tischtüchern. Und am Sonntag war er der Dorf-Friseur und schnitt den Leuten nach dem Gottesdienst die Haare.

Die Nationalsozialisten waren ihm ein Dorn im Auge. Schon vor Hitlers Machtübernahme hatte er Zusammenkünfte der Nationalsozialisten gestört, zusammen mit Joseph Baumgartner, dem späteren bayerischen Landwirtschaftsminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten. Als Hartmann sich über einen Bauern lustig machte, der für das Winterhilfswerk sammelte, wurde er verhaftet. Jemand hatte ihn denunziert. Hartmann kam in Schutzhaft, zuerst im Amtsgerichtsgefängnis, dann im Konzentrationslager. Nach zwei Monaten wurde er entlassen. 1943 drohte eine erneute Verhaftung. Hartmann hatte sich in Waltenhofen negativ über die Nationalsozialisten geäußert. Ein Denunziant schrieb eine Anklage und gab sie Benno Seemüller, einem jungen SS-Angehörigen. Dieser wohnte in Waltenhofen und arbeitete im Besoldungsamt der Waffen-SS im KZ Dachau. Seemüller sollte den Brief dort abgeben, aber er öffnete den Umschlag und redete dem Ankläger ins Gewissen. Den Brief gab er nicht ab. Dadurch verhinderte er, dass Hartmann erneut verhaftet wurde. Nach dem Krieg, als Seemüller sich dem Entnazifizierungsverfahren unterziehen musste, gab Hartmann eine eidesstattliche Erklärung ab. Darin erzählt er nicht nur von diesem Vorfall, sondern auch, dass er bereits 1934 im Konzentrationslager inhaftiert war. Das war das fehlende Beweisstück. Viele solcher Lebensgeschichten zeigt die Wanderausstellung "Das Lager und der Landkreis", die von Sonntag, 21. Februar, bis Donnerstag, 17. März, im Rathaus Sulzemoos zu sehen ist.

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