Skandinavische Künstlerkolonie:Malweiber des Nordens

Die neue Ausstellung in der Gemäldegalerie widmet sich der finnischen Künstlerkolonie Önningeby. Dort malten vor mehr als 100 Jahren mehrheitlich Frauen

Von Gregor Schiegl, Dachau

Nachdem die Gemäldegalerie Dachau bereits Bilder aus Nidden, Schwaan, Ahrenshoop, Hiddensee und Ekensund gezeigt hat, stellt sie ihrer neuesten Ausstellung nun erstmals auch eine skandinavische Künstlerkolonie vor: Önningeby, ausgesprochen "Önningebü", ist ein kleiner Ort auf einer Inselgruppe in der Ostsee, geografisch ziemlich genau in der Mitte zwischen Schweden und Finnland. Politisch gehören die Åland-Inseln zu Finnland, die offizielle Amtssprache ist Schwedisch - ein etwas altertümliches Schwedisch, wie die Leute vom Festland sagen. Die Besiedelung ist dünn, knapp 30 000 Menschen leben auf 1580 Quadratkilometern; theoretisch könnte jede Familie auf einer eigenen Insel wohnen. Es gibt rund 6700 Eilande. Das bedeutet: viel Platz, viel Wasser, viel Landschaft.

In Önningeby waren die Künstler schon vor mehr als 100 Jahren überwältigt von der Reinheit der unberührten Natur, den Felsen, dem Wald, der unvergleichlichen Flora und dem besonderen Licht des Nordens und seinen Farben. Auf Victor Westerholms Ölgemälde "Bucht vor dem Haus" kommt das schön zum Ausdruck: Obwohl der Pinselstrich kräftig ist, nimmt man die kristalline Klarheit von Meerwasser und Luft deutlich wahr, die Frische ist förmlich zu riechen. Von Westerholm gibt es auch ein Gemälde, das er im Sommer 1894 in Paris gemalt hat: gleicher Pinselstrich, aber ein ganz anderes Licht und ganz andere Farbtöne. Viele skandinavische Künstler emanzipierten sich in Frankreich von den Konventionen und Traditionen der alten, akademischen Malerei, die oft noch sehr darauf fokussiert war, ein Geschen möglichst gegenständlich in Szene zu setzen. Bei den Freilichtmalern in Önningeby stand - übrigens genauso wie in der Künstlerkolonie Dachau - das Naturerlebnis im Vordergrund, das Licht, die Farbe, die Stimmung. Dazu bedurfte es keiner spektakulären Motive. Zu sehen ist daher auch eher Alltägliches: Birken vor einem Zaun, Blumenwiesen, Meeresbuchten, Fischer, die ihre Netze flicken. Eine Idylle, allerdings bar aller romantischen Überhöhung.

Skandinavische Künstlerkolonie: Die Åland-Inseln liefern farbenfrohe Motive, wie das Gemälde "Der Junge mit der Milchkanne"(Öl auf Holz, 1890) von Carl Erik Fredrik Törner beweist.

Die Åland-Inseln liefern farbenfrohe Motive, wie das Gemälde "Der Junge mit der Milchkanne"(Öl auf Holz, 1890) von Carl Erik Fredrik Törner beweist.

(Foto: oh)

Önningeby wäre heute wohl noch ein unbekanntes Dörfchen mit einer historischen Windmühle als einziger Attraktion, hätte es Victor Westerholm (1860 bis 1919) nicht gegeben. Der finnische Landschaftsmaler kam selbst 1880 zum ersten Mal auf die Ålandinseln. Zu dieser Zeit studierte er noch in Düsseldorf, davor hatte er die Académie Julian in Paris besucht. Auf Åland erwarb er spontan ein malerisch gelegenes kleines Haus am Lemströmkanal. Diesem gemütlichen Heim gab er den Namen "Tomtebo": Wichtelhaus. Es wurde das Zentrum der Künstlerkolonie.

Westerholm war es, der seine Freunde an den Ort holte, der seiner Meinung nach "der beste Platz auf der ganzen Welt zum Malen" sei. Es kamen schwedische, finnische und auch estnische Künstler, die sich jedes Jahr während der Sommermonate in den umliegenden Gehöften von Önningeby einmieteten, sofern sie nicht selbst Unterkunft bei Westerholm fanden. Victor Westerholm soll ein ausgesprochen guter Gastgeber gewesen sein. "Er hatte ein unaufdringliches und freundliches Wesen, und man fühlte gleich, dass man sich auf diese Person verlassen konnte", schildert die Malerin Hanna Rönnberg ihre Begegnung. "Man war auch gleich froh, die Bekanntschaft seiner schönen Frau Hilma zu machen." Zum Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens avancierte rasch der schwedische Maler Johan Axel Gustaf Acke (1859 bis 1924), eine redseliger und humorvoller Mann. Die Jahre von 1886 bis 1892, in denen er nach Önningeby kam, gelten auch als die lebhaftesten in der Geschichte der Künstlerkolonie. Acke zählt heute zu den ganz Großen der skandinavischen Malerei, seine Bilder hängen im Schwedischen Nationalmuseum. Mit Hartnäckigkeit und Charme gelang es Elisabeth Boser von der Gemäldegalerie, eines seiner schönsten Werke für die Ausstellung in Dachau zu organisieren, und so können die Besucher auch Ackes "Der Junge mit dem Pulverhorn" bewundern. Man sieht einen Jungen, Wollmütze, Mäntel, Handschuhe, wie er inmitten einer kargen Schneelandschaft vorsichtig ein Gewehr mit Schwarzpulver füllt. Man sieht ihn von schräg oben, aus der Perspektive eines Erwachsenen und möchte ihn kaum mehr aus den Augen lassen.

Skandinavische Künstlerkolonie: Vivi Munsterhjelm hat den Kiefernwald am Strand gemalt. Von der Künstlerin weiß man heute kaum mehr etwas.

Vivi Munsterhjelm hat den Kiefernwald am Strand gemalt. Von der Künstlerin weiß man heute kaum mehr etwas.

(Foto: Toni Heigl)

Einer der interessantesten Aspekte an Önningeby ist, dass die Mehrheit der Maler dort Frauen waren. Warum das so ist, darüber kann selbst der finnische Co-Autor des Ausstellungskatalogs, Kjell Ekström, nur spekulieren: "Sicher ist, dass die Kunststudentinnen in Finnland damals eine ziemlich starke Position hatten", schreibt er. "Zudem hatte Victor Westerholm eine vorurteilsfreie Einstellung zu Malerinnen." Westerholm ermunterte übrigens auch seine spätere Frau Hilma, an der Zeichenschule zu studieren.

Aus heutiger Sicht erscheinen gerade die Arbeiten der Frauen oftmals mutiger, innovativer, schlichtweg moderner als die ihrer männlichen Kollegen. Sie widmeten sich meist weniger der Landschaftsmalerei als figürlichen Motiven. Wohl kein Bild fängt dieses weibliche Selbstbewusstsein besser ein als Anna Wengbergs Portrait ihrer Malerfreundin Helmi Sjöstrand, wie sie aufrecht und mit voller Körperspannung an der Staffelei steht. Es ist mit kräftigem Strich gemalt, das Detail tritt zugunsten des Ausdrucks zurück, und obwohl im Jahr 1890 gemalt, sind hier bereits deutlich die Züge moderner Malerei erkennbar.

Skandinavische Künstlerkolonie: In der Gemäldegalerie Dachau sind Bilder aus der Künstlerkolonie Önningeby, ausgesprochen "Önningebü", zu sehen. Das ist ein kleiner Ort auf einer Inselgruppe in der Ostsee.

In der Gemäldegalerie Dachau sind Bilder aus der Künstlerkolonie Önningeby, ausgesprochen "Önningebü", zu sehen. Das ist ein kleiner Ort auf einer Inselgruppe in der Ostsee.

(Foto: Toni Heigl)

Bedauerlicherweise und völlig zu Unrecht blieben diesen Malerinnen in der Bekanntheit weit hinter der ihrer Malerkollegen zurück. Teilweise sind sie auch in Vergessenheit geraten, selbst ihre Lebensläufe kennt man heute oft noch bruchstückhaft. Am bekanntesten aus der Frauenriege von Önningeby ist wohl noch Hanna Rönnberg, allerdings nicht als Malerin, sondern als Publizistin. Dabei gehören ihre fein beobachteten Mutter-Kind-Motive, bei der man der Mutter gewissermaßen über die Schulter schaut, weil sie ganz und gar mit ihrem kleinen Liebling beschäftigt ist, mit zu den schönsten und anrührendsten Bildern dieser hochkarätigen Ausstellung.

Die Gemäldegalerie präsentiert die insgesamt 73 Bilder in den Ausstellungsräumen gleichberechtigt. Wenn man einen roten Faden sucht, so findet man am ehesten einen chronologischen: Die frühen Arbeiten Westerholms hängen am Eingang und an der hintersten Wand findet man die schon sehr modernen Orts- und Landschaftsansichten von Vivi Munsterhjelm - natürlich von einer Frau. Im Katalog heißt es über sie: "Vivi Munsterhjelms künstlerisches Wirken ist beinahe gänzlich unerforscht und nur wenige Quellen erzählen über ihr Leben." Die Kunsthistoriker haben noch sehr viel aufzuarbeiten.

Önningeby. Eine Künstlerkolonie auf den finnischen Ålandinseln. Gemäldegalerie Dachau. Zu sehen bis 11. März 2018.

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