Serie: Mein Lieblingswerk:Leberkässemmel: unbezahlbar

Serie: Mein Lieblingswerk: Stefan Fichtl und Heinz Sprödhuber vor Wolfgang Sands "Variabler Wertanlage".

Stefan Fichtl und Heinz Sprödhuber vor Wolfgang Sands "Variabler Wertanlage".

(Foto: Toni Heigl)

Die Dachauer Steuerberater und Kunstmäzene Heinz Sprödhuber und Stefan Fichtl zeigen sich beeindruckt von der KVD-Ausstellung und wie sie mit spielerischem Witz ernste Probleme behandelt

Von anna-sophia lang, Dachau

Es fühlt sich an, als wäre die Zeit stehen geblieben im ehemaligen Gebäude der MD-Papierfabrik. Ein Glaskasten mit Bekanntmachungen hängt im Flur. Neben den Bürotüren Schilder mit den Namen derer, die dort gearbeitet haben, als wären sie immer noch da. Aber die Zeit deutliche Spuren hinterlassen. Der Putz blättert ab, die Rollläden hängen schief, die Teppiche sind fleckig, ein Gefühl von Verlassenheit liegt in den Fluren. Heinz Sprödhuber ist beeindruckt. Mit seinem Kollegen Stefan Fichtl geht der Steuerberater von Raum zu Raum und betrachtet mal staunend, mal irritiert, mal amüsiert die Werke, die dort ausgestellt sind.

"1984" heißt die Ausstellung der Künstlervereinigung Dachau, benannt nach dem Roman von George Orwell, der bereits in den späten 40er Jahren vorhersah, was heute gleichzeitig Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist. Das Spiel der Zeiten, es steckt überall in dieser Ausstellung: in den Räumen, den Werken , der Wahrnehmung ihrer Besucher. "Für diese Ausstellung hätte es keinen besseren Ort in Dachau geben können", sagt Sprödhuber.

In der Dachauer Kanzlei ihrer Steuerberatungsgesellschaft, erzählt er, hänge viel Kunst. Immendorff, Beuys, regionale Künstler wie Heiko Klohn. Sprödhuber ist aber auch großer Fan der amerikanischen Pop-Art. Was ihm gefällt, ist so einfach nicht zu kategorisieren. Ein Kunstwerk müsse etwas in ihm auslösen, sagt er, ohne dass der zu interpretierende geistige Hintergrund gleich eine große Rolle spiele. Stefan Fichtl geht es genauso. So bleiben die beiden Männer immer wieder stehen, wenn ihnen etwas ins Auge springt, wie bei Heiko Klohns "Der Watzmann" oder Jessica Zaydans "Never Break Your Heart". Sofort magisch angezogen sind sie aber von Wolfgang Sands Plastiken. Der Haimhausener Bildhauer hat sie als Ergänzungen zu seinen Arbeiten "Selfie" und "Am Rande" an zwei Wänden angebracht. Sie fallen Fichtl auf, weil sie ihn zum Lachen bringen. Vor allem die "Variable Wertanlage". Der Titel steht auch schräg unterhalb des Werks mit blauer Farbe an die Wand geschrieben. Es ist eine große Spieluhr, bestehend aus einem hölzernen Unterteil und einem darauf gesetzten, durchsichtigen Plastikkasten mit Spardosen-Schlitz, in dem sich an einer schrägen Achse eine blaue Weltkugel dreht. Sie neigt sich nach rechts und ist dort von Münzgeld umgeben. Links oben auf dem Kasten liegt eine Leberkässemmel. Sie ist eindeutig echt: Eine dicke Schicht Schimmel bedeckt den Belag, die Semmel ist steinhart. Als Fichtl an der Schnur zieht, erklingt "Yesterday" von den Beatles - in einer Spieluhrversion.

Es ist die schimmelnde Leberkässemmel, die ihn zum Lachen bringt. Scheinbar zufällig liegt sie da, als hätte jemand sie in seiner Mittagspause dort abgelegt und vergessen. Immer wieder haben sich Sprödhuber und Fichtl gefragt, was man eigentlich anfassen darf in dieser Ausstellung und was nicht. Was gehört zum Werk, was zum alten Inventar des Gebäudes? Die Semmel erinnert daran, dass hier einmal Menschen gearbeitet haben. Sie ist die Brücke in die Vergangenheit der Ausstellungsräume. Aber Fichtl findet sie auch einfach witzig. Ein wenig erinnert sie ihn an Joseph Beuys' "Zwei Fräulein mit leuchtendem Brot", bei dem ein großes Stück Schokolade das verbindende Element ist. Je länger die beiden Männer aber vor der Plastik stehen, desto ernsthafter erscheint sie ihnen.

"Was hat eigentlich wirklich einen Wert?", fragt Fichtl und deutet auf die Münzen, die unantastbar hinter dem Plastik liegen. "Jeder will das Geld, das da liegt. Dabei wäre die Semmel für manche oft viel mehr wert als alles Geld der Welt." Geld hineinwerfen könnte jeder. Es rausholen nur, wer den Schlüssel hat. An die Semmel dagegen kommt jeder. Übrig bleibt sie aber denen, die keine Wahl haben. "Wie viele Leute würden sie jetzt einfach essen?", fragt Fichtl. "Und wir ekeln uns davor."

So symbolisiert die Plastik das Ungleichgewicht in der Welt. Sprödhuber spürt den Zwiespalt. Einerseits ist das Werk einem Spielzeug nachempfunden, andererseits thematisch von großem Ernst geprägt. Es ist für Sprödhuber die Parallele zu einer Welt, die für mache Spiel und für andere Ernst ist. In der anscheinend das Kapital regiert, gegen das der einzelne Mensch nicht ankommt. In der aber andererseits nur der einzelne wirklich etwas ändern kann.

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