Bier im Landkreis:Isarkindl, gebraut in Prittlbach

Fünf Studenten schaffen nach einigem Experimentieren ihre eigene Kreation. Heute kann man ihr Bier in München kaufen.

Von Anna-Sophia Lang, Hebertshausen

Die Revolution begann in einem Keller in Prittlbach. Vier Studenten machten sich auf, den Biermarkt zu verändern. Mit einem Bier, das anders ist als alles, was große Brauereien in Deutschland zu bieten haben. Mutig und kreativ wollten sie sein, etwas ganz Neues schaffen. Am Ende wurde aus der großen Revolution zwar nur eine kleine Revolte. Aber ihr eigenes Bier ist ihnen dann doch gelungen. Eines mild und fruchtig, das andere ein fein gehopftes Helles. Traditionell gebraut, mit modernem Twist. Das Isarkindl.

Der Wegbereiter war ein unscheinbarer Pilz. Brettanomyces bruxellensis, eine belgische Wildhefe. Ohne sie wäre es nie so weit gekommen. Ohne sie würde Simon Klur heute nicht vor Stolz rote Backen bekommen, wenn er zerbrochene Flaschen an der Reichenbachbrücke in München sieht. Die Studenten würden nicht den Großteil ihrer Zeit damit verbringen, Bierkästen hin und her zu fahren. Und ihre Wohnungen wären nicht zu Bierdepots geworden.

Alles begann im Herbst 2014. Simon Klur, Xaver Amler, Rainer Pieknik und Nina Bachmann schlossen sich zusammen, um am Innovationswettbewerb für Getränke und Lebensmittel an der Technischen Universität München teilzunehmen. Zwei Getränke- und Lebensmitteltechnologen, ein Betriebswirtschaftler, eine Designerin. Ziel des Wettbewerbs: Ein Bier brauen, das innovativ ist, aber nicht gegen das Reinheitsgebot verstößt. Ein Jahr lang experimentierten sie herum. Das Ergebnis war fruchtig, süffig, ein klassisches Festbier.

Bier im Landkreis: Die Brauanlage im Keller seiner Mutter hat Simon selbst gebaut.

Die Brauanlage im Keller seiner Mutter hat Simon selbst gebaut.

(Foto: Christin Büttner, oh)

Die Studenten hatten sich viel vorgenommen. Und sie mussten sich dabei an ein Gebot halten, das nicht viel Spielraum zulässt. Eine Vorschrift aus dem Jahr 1516, von der Simon sagt, sie sei eigentlich ein Marketing-Gag. Der Deutsche Brauerbund feiert in diesem Jahr 500 Jahre Reinheitsgebot. Der Freistaat Bayern hat die bayerische Brautradition zum "Immateriellen Kulturerbe" ernannt. Wasser, Malz, Hopfen, Hefe, mehr Zutaten dürfen demnach nicht für deutsches Bier verwendet werden, das sich auch so nennen will. Eine drastische Einschränkung im Vergleich zu anderen Ländern, die mit Orangen, Rosinen, Erdbeersirup oder Kakao arbeiten können. Wirklich schlimm findet Xaver die Begrenzung nicht. "Immerhin wurde deutsches Bier durch das Reinheitsgebot in der ganzen Welt bekannt. Und die Innovationskraft wird angetrieben." Der Beweis dafür ist ihr Isarkindl. Gäbe es das Reinheitsgebot nicht, Xaver und die anderen wären wohl nie auf die Brettanomyces bruxellensis gekommen.

An Wasser und Malz ist nicht viel zu machen, und das Spiel mit exotischen Hopfenarten ist heute keine Herausforderung mehr. Also wagten sie sich an die Hefe. Eine Zutat, mit der deutsche Brauer noch am wenigsten experimentiert haben. Weil sie unberechenbar ist. Ein Lebewesen, bei dem man nie genau vorhersagen kann, wie es mit anderen Zutaten reagiert. Deutsche Brauereien haben Angst, dass fremde Hefen ihre Anlagen verschmutzen. Dass sie sich in den Rohren ausbreiten und alle anderen Biere kaputt machen. Deshalb halten sie sich an eine kleine Auswahl klassischer Hefen. Traditionell, althergebracht, tausendmal erprobt. Ohne Raum für Experimente. Untergärig für Helles, obergärig für Weißbier. Die Brettanomyces bruxellensis ist weder das eine noch das andere. Eine Wildhefe eben, mit einer wilden Molekülstruktur. Keine große deutsche Brauerei verwendet sie. Xaver und Simon hatten keine Angst. Und ihre eigenen Anlagen.

Bier im Landkreis: Heute stehen Rainer Pieknik, Nina Bachmann, Simon Klur und Xaver Amler (von links nach rechts) vor dem Durchbruch mit ihrer eigenen Biermarke.

Heute stehen Rainer Pieknik, Nina Bachmann, Simon Klur und Xaver Amler (von links nach rechts) vor dem Durchbruch mit ihrer eigenen Biermarke.

(Foto: Christin Büttner, oh)

Simon steht in Socken auf dem steinernen Kellerboden im Haus seiner Mutter in Prittlbach. Silvester ist noch nicht lange vorbei. Es ist kalt geworden, in der Nacht hat es geschneit. Simons Wangen sind gerötet, die Haare stehen in alle Richtungen. Im Nebenraum stapeln sich blaue Plastikbehälter. Pale Ale steht darauf, Cara Red, Wiener Malz. Hier unten haben die Studenten experimentiert. Hier haben sie Hefen getestet, vermischt, die anderen Zutaten variiert und abgewartet, was passiert. Nach jedem Durchgang wurde gekostet. 80 Sorten probierten sie aus. Manche waren erfolgsversprechend, schmeckten nach Banane oder Litschi. Andere rochen nach Desinfektionsmittel oder Schwarzpulver.

Simon trägt Behälter mit Hefen hin und her, hebt vorsichtig Deckel von Bottichen mit Bier in verschiedenen Stadien. Mit Kreide zeichnet er die Molekülstruktur der Brettanomyces bruxellensis auf eine kleine Tafel an der Wand. Den Großteil der Utensilien, die um ihn herum stehen, hat er selbst gebaut. Der Maischbottich, in dem der erste Schritt des Brauprozesses stattfindet, war einmal ein Glühweinkocher. Den Rührflügel, der die Masse aus Malz und Wasser darin beim Erhitzen vermengt, hat er von einem Schlosser bauen lassen, angetrieben wird er vom Motor einer Scheibenwischanlage. Einfach eine fertige Anlage zu kaufen, kam für Simon nie in Frage.

Ideenbrauerei

Seit diesem Frühjahr werden die Isarkindl-Biere in einer richtigen Brauerei produziert.

(Foto: Christin Büttner, oh)

"Eigentlich braut man heutzutage nach dem Vorläufigen Biergesetz von 1993", sagt er. Das nennt auch die Hefe als Zutat. Im Reinheitsgebot von 1516 kommt sie gar nicht vor. Auch andere Getreide außer der Gerste werden dort nicht erwähnt. Obwohl das im Biergesetz von 1993 nicht mehr so ist, machen manche der Regeln, die nach wie vor für deutsches Bier gelten, in Simons Augen keinen Sinn. Regeln zur Qualitätssicherung müsse es geben, klar. Aber: "Man stößt schnell an Grenzen. Den Verbrauchern wird so etwas vorenthalten." Dass Brauereien aus dem Ausland ihre Produkte derweil völlig legal mit der offiziellen Auszeichnung als Bier in Deutschland verkaufen dürfen, egal, was in ihnen steckt, ärgert ihn massiv.

Doch den Großteil der Biertrinker in Deutschland scheint die Debatte unberührt zu lassen. Sie trinken vor allem deutsches Bier. Nicht einmal sieben Prozent des 2015 konsumierten Biers wurden laut dem Deutschen Brauerbund importiert. Simon wundert das nicht. "Dem durchschnittlichen Biertrinker macht die mangelnde Abwechslung nicht viel aus." Eine Sache der Gewohnheit. "Wer sich mit Bier aber richtig auskennt, greift viel eher auf nicht deutsche Sorten zurück."

Bier im Landkreis: In dem Keller kann man jeden Schritt genau verfolgen.

In dem Keller kann man jeden Schritt genau verfolgen.

(Foto: Christin Büttner, oh)

Eine Aussage, die Lothar Ebbertz nicht unterschreiben würde. Er ist stolz auf das Reinheitsgebot. Besonders das bayerische. Aus dem sei schließlich erst 1906 das deutsche geworden. Es war die bayerische Version, die 1516 begründet wurde. Für Ebbertz ein Anlass zum Feiern. Deshalb ist der Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Brauerbunds nach Dachau gekommen. Es ist ein Dienstagabend, die Kreishandwerkerschaft hat zum Neujahrsempfang geladen. Ebbertz ist der Festredner. Er hält ein glühendes Plädoyer für das Reinheitsgebot. "Man muss es in seinem historischen Kontext deuten, nicht wörtlich nehmen." So lautet sein Appell an den Brauer-Nachwuchs: "Ich halte es für weit anspruchsvoller, getreu dem Reinheitsgebot ein gescheites Helles in immer gleichbleibender Qualität zu brauen, anstatt einem 08/15-Sud durch die Zugabe von Schokolade, Kaffee, Chrysanthemen oder Tannennadeln eine Pseudo-Veredelung zu verleihen."

Aus dem Bier mit der Brettanomyces bruxellensis wurde dann doch nichts. Die vier Revolutionäre holte die Realität ein. Sie fanden eine Brauerei nicht weit weg vom Flughafen München, die ihnen ihre Anlagen zur Verfügung stellte. Ein kleiner Familienbetrieb mit großer Angst vor der unbekannten Hefe. Die Betreiber wollten den fremden Pilz nicht in ihren Leitungen haben, aus Sorge, er könne andere Biere kontaminieren, die dort gebraut werden. Deswegen mussten Simon und Xaver neu experimentieren, neu denken und neue Geschmacksnuancen entwerfen.

Bier im Landkreis: Im Nebenraum stapeln sich Behälter mit Malzen, im Kühlschrank lagern Hopfen und Hefen.

Im Nebenraum stapeln sich Behälter mit Malzen, im Kühlschrank lagern Hopfen und Hefen.

(Foto: Christin Büttner, oh)

Das Isarkindl, das es in diesem Sommer im Kiosk an der Reichenbachbrücke gibt, ist nicht mehr das Schmankerl mit der Brettanomyces bruxellensis. Es besteht aus einer klassischen Hefe, die für Helles und Märzenbier verwendet wird, und anders gemischten Malzen. Die fruchtige Note der alten Hefe ist weg. Damit es zumindest einen ähnlichen Charakter behält, ist jetzt viel "Mandarina bavaria"-Hopfen drin. So bleibt ein blumiger Geschmack. "Das alte ist uns schon ans Herz gewachsen", sagt Simon. "Aber es musste halt schnell gehen." Da blieb keine Zeit zu jammern. Sonst wäre der ganze Plan am Ende doch noch fehlgeschlagen. Hätten sie auf der Brettanomyces bruxellensis bestanden, könnte Simon heute nicht sagen: "Es hat uns überfallen."

15 Kästen Bier brachten sie an einem Freitag vor ein paar Wochen zum Kiosk an die Reichenbachbrücke. Am Samstagmorgen kam der Anruf: "Es ist alles weg. Habt ihr noch mehr?" Neben dem neuen Schmankerl brauen sie jetzt auch ein Helles mit eigenem Rezept. "Nicht so pappsüß wie die klassischen Hellen, bitterer, man schmeckt den Hopfen." Getränkemärkte in Pasing, Laim und im Westend haben die Isarkindl-Biere in ihr Sortiment aufgenommen. Es läuft gut.

Die Gruppe finanziert sich selbst

Eine Tonne Malz, sechs Kilogramm Hopfen, 6000 Liter Wasser, 50 Liter Hefe brauchen sie für einen Braugang Helles. Sechs Wochen dauert es, bis abgefüllt werden kann. 7400 Flaschen. Von der ersten Ladung ist nichts mehr übrig, die nächsten Sude sind schon angesetzt. Das Geld, das durch den Verkauf reingekommen ist, reicht, um sie zu bezahlen. Die Gruppe finanziert sich selbst, es steckt kein Geld von außen drin. Bald werden Kronkorken geliefert, die mit den Symbolen von Isarkindl bedruckt sind. "Wir würden uns schon wünschen, dass wir auf Dauer davon leben können", sagt Simon. Er ist fast fertig mit dem Bachelor, Xaver und Rainer mit dem Master, Nina arbeitet schon. Mitte Juli feiern sie die offizielle Release-Party.

So steht Simon in München vor den zerbrochenen Flaschen an der Reichenbachbrücke und freut sich. Für ihn sind es nicht irgendwelche Scherben. Es sind Scherben aus Isarkindl-Flaschen. Dem Bier, das er mit den anderen kreiert hat. Mit dem sie ganz groß rauskommen wollen.

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