Bürgerumfrage:Eine Initiative sammelt Mythen, die sich um Jahrhunderte alte Bäume ranken

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In einem Bürgerbeteiligungsprojekt sollen Menschen erzählen, welche Mythen und Sagen sie mit den Naturdenkmälern im Landkreis verbinden.

Von Anna-Sophia Lang, Dachau

Die Idee kam ganz unvermittelt. Sylvia Podewils und Christine Unzeitig waren zum Essen in der Kantine des Landratsamtes verabredet. Obwohl sie schon oft dort gewesen waren, fielen ihnen an diesem Tag zum ersten Mal die Fotos an der Wand neben der Treppe auf, die zur Kantine führt. "Ganz tolle Bilder", sagt Unzeitig, Projektleiterin von "Naherholung und Tourismus im Dachauer Land". Bilder von uralten Bäumen - den Naturdenkmälern des Landkreises. Wo sie stehen und wie alt sie sind, ist bekannt. Über die Legenden, Sagen und Geschichten, die sich um sie ranken, gibt es allerdings noch keine Aufzeichnungen. Deshalb riefen Unzeitig und Podewils von Dachau Agil ein neues Bürgerbeteiligungsprojekt ins Leben. Mit Hilfe der Menschen im Landkreis sollen alle Informationen zu den Naturdenkmälern gesammelt und in einer Publikation zusammengefasst werden. Denn, so sagt Unzeitig: "Die Zeit rennt davon. Wir müssen unser Wissen über diese Bäume aufschreiben, sonst geht es verloren."

154 solcher Naturdenkmäler stehen auf der Liste des Landratsamts. Es sind Bäume, deren Erhaltung "wegen ihrer hervorragenden Schönheit oder ihrer ökologischen bzw. heimatkundlichen Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt". So heißt es im Bundes-Naturschutzgesetz. In den Fünfzigerjahren, mit Beginn der Naturschutz-Gesetzgebung in Deutschland, wurden die ersten Bäume im Landkreis per Verordnung des Landratsamts zu Naturdenkmälern gemacht. 20 bis 30, erklärt Alexander Wolfseder, stehen auch heute noch auf der Liste. In den Siebzigerjahren wurde die Verordnung aktualisiert, 1997 zum letzten Mal auf den neuesten Stand gebracht. Seitdem, so der Leiter des Fachgebiets Naturschutz im Landratsamt, wurden zwar keine neuen Naturdenkmäler "ausgewiesen", wie es in der Fachsprache heißt. Einige Bäume wurden aber unter besonderen Schutz gestellt und liegen damit in der Kategorie schützenswerter Bäum direkt hinter den Naturdenkmälern.

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(Foto: privat)

Grüne Prachte: eine 220-jährige Eiche in Markt Indersdorf...

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(Foto: privat)

... eine 600-jährige Linde in Obermarbach...

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(Foto: privat)

...und eine 270-jährige Linde in Pfaffenhofen-Unterumbach.

Immer wieder verschwanden Naturdenkmäler aus der Landschaft. Über die Jahre, schätzt Wolfseder, waren es ungefähr zwölf. Manche fielen Unwettern zum Opfer, andere starben ab und mussten gefällt werden, weil sie drohten umzufallen. Immer wieder müssen Bäume beschnitten werden, weil sie von Pilzen und anderen Krankheiten befallen sind. Deshalb kontrolliert das Landratsamt regelmäßig, wo Gefahren für die Bäume, aber auch für die Menschen bestehen. Verkehrssicherung spielt dabei eine große Rolle. Viele Naturdenkmäler im Stadtbereich Dachaus sind Eigentum der Stadt. Deshalb kümmert sie sich um deren Erhaltung und Pflege.

In den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts entstand ein Buch mit Fotos, das Alter und Standort aller Bäume erfasste. Geschichten und Sagen sind dort allerdings nicht aufgeführt. Heimatkundliche Bedeutung, sagt Wolfseder, hätten die Bäume aber schon deshalb, weil es sie bereits vor Generationen gab, wie das Buch beweist. Schon damals wurden die Bäume als regionale Schätze betrachtet. Nun fürchten die Gründer des Bürgerbeteiligungsprojekts, dass das Wissen um die Bäume verloren geht. Vor allem besagte Mythen, die noch nie aufgeschrieben und festgehalten wurden.

Schmiegt sich ans Gemäuer: eine 150-jährige Akazie in Lauterbach. (Foto: privat)

Christine Unzeitig kann sich noch an die Geschichten erinnern, die ihr als Kind erzählt wurden. An eine besonders: Über einen alten Baum auf ihrem Nachhauseweg hieß es, wenn man nicht schnell genug daran vorbeigehe, komme "der weiße Schimmel" und hole einen. "Da bin ich deshalb immer durchgeradelt, so schnell ich konnte", erzählt Unzeitig. Auch Sylvia Podewils kennt solche Legenden. Allerdings nicht aus Dachau, sondern aus der Heimat ihrer Großeltern. Doch die Geschichten ähneln sich. Um eine riesige Linde mit einem hohlen Stamm rankten sich Erzählungen von Räuberverstecken und Geschöpfen, die dort ihr Unwesen trieben. "Da hatte man schon immer Respekt", sagt Podewils.

Mit ihrem Projekt, hinter dem neben Dachau Agil auch die Untere Naturschutzbehörde des Landratsamts, der Verein Dachauer Moos und der Landschaftspflegeverband Dachau stehen, sollen nun "den Bürgern die Schätze der eigenen Region ins Gedächtnis gerufen werden". Schon im Mai 2014, berichtet Podewils, hatte Dachau Agil mehrere Bürgerbeteiligungsworkshops veranstaltet, in denen es um die Stärken und Schwächen des Landkreises ging. Ergebnis: Viele zählten die landschaftliche Schönheit als eine seiner größten Stärken auf.

Idyllisch: eine 120-jährige Eschenallee in Bergkirchen. (Foto: N/A)

Podewils freut sich darüber. "Auch der Landkreis hat etwas zu bieten", sagt sie, "hier herrscht landschaftlicher Reichtum". Das stellen nicht nur die Macher des Naturdenkmäler-Projekts fest. Christine Unzeitig beobachtet immer mehr Menschen, die ihren Urlaub daheim verbringen, mit Fahrradfahren oder Wandern. "In unserer Gesellschaft findet eine ständige Überfütterung mit Informationen statt", sagt sie, "die man gar nicht mehr verarbeiten kann. Da möchten die Leute einfach wieder ein bisschen ruhiger fahren". Die Sehnsucht nach Daheim wachse - auch bei den Jüngeren.

Mit der Sehnsucht nach Daheim wächst auch die Sehnsucht nach Identität - und Naturdenkmäler sind ein Teil der heimatlichen Kulturgeschichte. "Wir wollen damit Identität erhalten", erklärt Podewils. Denn kulturelle Identität, sagt sie, bestehe nicht nur aus Dialekt und Liedgut, sondern auch aus einer Verbindung zu Natur und Umwelt. "Im Brauchtum gibt es viele Sagen und Legenden, in denen die Natur eine große Rolle spielt." Ein solches Verständnis ist es auch, das ein Bewusstsein für die regionale Natur schafft. "Der jahreszeitliche Bezug geht bei den Menschen immer mehr verloren", sagt Podewils, "im Winter gibt es bei uns nun mal keine Erdbeeren".

Dieses Bewusstsein soll durch das Projekt wieder gestärkt werden. Alle paar Wochen soll deshalb ein Naturdenkmal der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Dafür bitten die Projektgründerinnen die Bevölkerung im Landkreis um Mithilfe: Wer Naturdenkmäler kennt, sich an alte Sagen und Legenden erinnert oder persönliche Erlebnisse mit den Bäumen verbindet, kann sich bei der Geschäftsstelle von Dachau Agil in Eschenried, Münchner Straße 37, melden unter Telefon 08131/ 99 98 67 oder per E-Mail an kontakt@dachau-agil.de.

© SZ vom 08.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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