"Seh am See":Dada in Karlsfeld

Für gerade mal zwei Tage hat der Kunstkreis Karlsfeld Skulpturen von 29 Künstlern am See aufstellen lassen. Am Freitag präsentiert er die Erinnerungsfotos.

Wolfgang Eitler

Der Dadaismus ist fast ein Jahrhundert her. 1916 begannen Künstler in Zürich, sich gegen Normen und Konventionen aufzulehnen und mit scheinbar sinnentleerten Lautgedichten oder Collagen, die Wortbildern glichen, zu provozieren. Ein Mann namens Johannes Baader inszenierte sich 1918 im Berliner Dom als Christus und ließ seine vermeintlichen Jünger ratlos zurück. Daraufhin verliehen ihm die Berliner Feuilletons den Titel "Oberdada". Dazu passt das "3-D-Jesusbuch" von Hannes L. Götz aus Gröbenzell, das der Bildhauer als Kontrast zur Digitalisierung aus Holz geschlagen hat. Wenn Dieter Kleiber-Wurm einen Rahmen an einen Baum nagelt und dazu schreibt, dass er hiermit ein Natur- oder Landschaftsbild geschaffen hat, ist er von dieser Tradition ebenfalls nicht weit entfernt.

"Seh am See": Klaus Herbrich lässt Gartenzwerge in einem Kahn am Karlsfelder See landen.

Klaus Herbrich lässt Gartenzwerge in einem Kahn am Karlsfelder See landen.

(Foto: Toni Heigl)

Die Künstler, die sich am vergangenen Wochenende an der Freilicht-Ausstellung "Seh am See" des Kunstkreises Karlsfeld beteiligten, könnten ohne weiteres als Dadaisten durchgehen. Der Titel selbst ist bereits ein Beitrag dazu. Denn sie alle sind Spieler mit Worten und Bildern. Dass das Wort "Heuschrecke" als biologische Bezeichnung nicht mehr durchgeht , ist spätestens seit der Finanzkrise geläufig. Ernst Lüttringhaus aus Niederaichbach hat eine Variante aus Plastikstühlen und anderen Utensilien gebastelt, die er "Globaler Weißkragen Heuschreck" nennt. Der Schweizer Gérard Cornioly hat kleine Spiegel an Bäume gehängt, wer genauer hinschaut, darf Alltagssätze lesen wie: "Du bist alt geworden." Oder: "Du wiederholst Dich ständig." Bei Corinne Spieleroy aus dem schweizerischen Vevey dürfen die Besucher auf Zetteln aufschreiben, warum sie sich glücklich fühlen. Wie tibetanische Fahnen schwingen sie im Wind.

Das Wort "Dada" stammt aus dem Französischen und bedeutet übersetzt so viel wie "Steckenpferd". Wörtlich genommen bezeichnet es ein Spielzeug. Friedo Niepmann aus Olching fordert die Betrachter zum Mitspielen auf. Nach der schriftlichen Anmeldung darf man in der Gummihose in den See steigen und an einem Rad drehen, dann beginnen sich zwei Karren lärmend zu bewegen. Ganz ernsthaft erwartet Niepmann allerdings von seinen Besuchern die Erfahrung, dass nur derjenige "Vorsätze einhält, der sich vorher anstrengt." Na, ja. Piloten der Lufthansa werden sich vom Fliegen über den Karlsfelder See sicherlich nicht abhalten lassen, wenn sie einmal Lärm von eigener Handproduziert haben.

29 Künstler aus der ganzen Region München und viele mit dem Kunstkreis Karlsfeld befreundete Künstler aus Österreich und der Schweiz beteiligten sich an der Freilichtausstellung "Seh am See". Sie dauert nur zwei Tage. Da muss man die Kunst nicht nur als Beruf, sondern auch als ein Steckenpferd also als ein Hobby begreifen, um nicht an die Kosten zu denken und die Vorläufigkeit oder Vergänglichkeit eines eigens geschaffenen Kunstwerks zu genießen. Wenn Sara Voss in angeblich schamanischer Manier ihre Mutter ehrt, indem sie deren Klöppeleien an Bäume und Sträucher gleich Spinnennetzen hängt, ist der Aufwand noch relativ gering. Wenn Klaus Herbrich eine Vielzahl von Zwergen in ein Boot versammelt, dann geht das noch mit dem Aufwand. Aber die schwimmende Skulptur aus Abflussrohren von Klaus Kühnlein aus Kottgeisering bei Fürstenfeldbruck, ist schon heftige Arbeit. Und all dies für zwei Tage, von denen beide in Wind und Wetter fest verwehten.

Allerdings fichten solche Fragen weder die Veranstalter noch die Künstler an. Und das ist dann schon ziemlich dadaistisch, weil frei von Zwecken gedacht und geplant. Aber der Kunstkreis Karlsfeld ist insgesamt so. Im Gegensatz zu Malergruppen im Landkreis Dachau frönt der semiprofessionelle Kreis gezielt der Moderne. Dafür erhielt er auf der Vernissage von CSU-Gemeinderat Wolfgang Offenbeck viel Lob, aber kein Geld. Landrat Hansjörg Christmann würdigte die Ausstellung als einen weiteren Beitrag dazu, die moderne Kunst in die Mitte der Gesellschaft von Stadt und Landkreis zu tragen. Er bewunderte den Kunstkreis für seine Gelassenheit, trotz der schlechten Erfahrungen mit dem Wetter, sich nicht von der 12. "Seh am See" in mehr als 24 Jahren abhalten zu lassen.

Um aber die Vergänglichkeit nicht auf die Spitze zu treiben, ist der Kunstkreis dieses Jahr auf eine gute Idee gekommen. Er hat zu einem Fotowettbewerb gerufen, dessen prämierten Ergebnisse schon von Freitag an, in der Galerie am Drosselanger zu besichtigen sind.

Fotowettbewerb "Seh am See", Vernissage und Preisverleihung, Freitag, 20. Juli, 19 Uhr, Galerie des Kunstkreises am Drosselanger in Karlsfeld. Samstag und Sonntag, 21. und 22. Juli, jeweils 14 bis 18 Uhr.

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