Schwabhausen:Alle unter einem Dach

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Die Biermanns wohnen mit ihren vier Kindern bei den Großeltern: Von der Renaissance eines alten Familienmodells.

Sophie Burfeind

-Der siebenjährige Yannis und sein acht Jahre älterer Bruder Samuel spielen auf der Straße Fußball. Opa Wolfgang steht daneben und sieht zu. Manchmal spielt er auch selbst mit. Im Sommer sogar ständig, wie seine Frau Karin lachend erzählt: "Dann lebt mein Mann nämlich auf dem Fußballplatz." Doch auch in den Wintermonaten begleitet der 70-jährige Wolfgang Biermann seine beiden Enkel zu jedem Fußballtraining. Fünfmal in der Woche - bei den Spielen ist er selbstverständlich auch dabei.

Bei den Biermanns in Schwabhausen ist immer was los: Die Gebrüder Yannis und Samuel mit ihren Großeltern Karin und Wolfgang, der die beiden fünfmal in der Woche ins Fußballtraining begleitet. (Foto: DAH)

Wolfgang und Karin Biermann leben gemeinsam mit der sechsköpfigen Familie ihrer Tochter Sabine in einer Doppelhaushälfte. Die gelernte Fremdsprachenkorrespondentin zog vor 17 Jahren mit ihrem Mann Marvin Kar zu den Eltern nach Schwabhausen, als die zweite Tochter Natalie geboren war. "Das große Haus hat sich dann anscheinend angeboten, noch mehr Kinder zu bekommen", sagt die jugendlich gekleidete Oma Karin mit einem Augenzwinkern - schließlich seien aus den zwei Kindern schnell vier geworden.

Immer mehr erwachsene Kinder mit Familie ziehen laut einer Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) München wieder zurück zu den Eltern. "Seit den 90er-Jahren sehen wir die Entwicklung, dass der Weg zurück in die heimatlichen Gefilde führt", erklärt der an der Studie beteiligte Diplomsoziologe Christian Alt vom DJI. "In den 70ern sind die erwachsenen Kinder nach der Bildungsreform eher weggezogen und die familialen Netzwerke zerfielen, gerade unter gebildeteren Leuten". Heute könne ein entgegengesetzter Trend festgestellt werden: Trotz der größeren Mobilität rückten die Familien wieder näher zusammen.

Vermehrt entschieden sich junge Eltern, nach dem traditionellen Familienmuster zu leben und zu den Eltern zurück zu ziehen, wo häufig freier oder günstiger Wohnraum und Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder vorhanden sei.

So lautet das Ergebnis der DJI-Kinderbetreuungsstudie auch: "Ein Drittel aller Kinder wird heute von den Großeltern mitbetreut. Bei den Kindern unter drei Jahren sind sie neben den Eltern die wichtigste Betreuungsressource." Hinzu kommt nach Alt, "dass es wegen der längeren Lebenserwartung heute mehr Großeltern gibt als früher."

Bei den Biermanns stehen die Türen für die vier Enkel Yannis (7), Samuel (15), Natalie (17) und Alina (21) stets offen. Wenn die Mutter arbeitet, nach der Schule, dem Fußballtraining, oder am Wochenende - regelmäßig kommen die Enkel zu Besuch.

Die Bedeutung von Großeltern für die Enkel sei häufig unterschätzt worden, sagt Christian Alt. "Sie vermitteln den Kindern Familienethik - bestimmte Werte und Einstellungen, die von den Enkeln übernommen werden." Außerdem verbesserten stabile familiale Netze, zu denen auch die Großeltern zählen, die sozialen und kognitiven Fähigkeiten der Kinder. "Die Kinder üben sich in Aushandlungsprozessen: Sie versuchen, Eltern, Geschwister und Großeltern gewissermaßen gegeneinander auszuspielen, um das für sie gewünschte Ergebnis zu erzielen." Dabei könnten sie Schlüsselqualifikationen wie sozial adäquates Verhalten erwerben, aber auch das Argumentations- und Verhandlungsvermögen sowie die Fähigkeit zur Durchsetzung von Interessen verbessern.

Auch zu Wolfgang und Karin kommen die vier Enkel häufig, um bei ihnen Konflikte mit den Eltern auszutragen. "Wir versuchen, das Ganze entschärft weiterzugeben, zu vermitteln und keine Partei zu ergreifen", sagt die Großmutter. Doch auch bei Liebeskummer und anderen Problemen seien die beiden wichtige Ansprechpartner für die Enkelkinder. Ein weiterer, wichtiger Aspekt im Großeltern-Enkel-Verhältnis: Dass die ältere Generation sich Zeit nehmen kann für die Enkel, auch zum Zuhören.

Ob die Betreuung durch Großeltern für die Entwicklung des Kindes besser ist, oder durch außerhäusliche Betreuungseinrichtungen - wie sie verstärkt in städtischen Gebieten in Anspruch genommen wird - dazu gibt es keine Studien. Zwar seien Großeltern in Hinblick auf Wertevermittlung sehr wichtig, "allerdings sind sie schwach in Pädagogik", gibt Alt zu bedenken. Genau diese großelterliche Gutmütigkeit aber lieben die Enkel. Yannis weiß genau, dass im Kühlschrank von Oma und Opa die "Würstl" auf ihn warten, die bei der gesundheitsbewussten Mutter Sabine verboten sind. Und dass er beim Mau-Mau-Spiel gegen Opa besonders oft gewinnen kann.

Wolfgang und Karin sind stolz auf ihre vielen Enkel und können sich ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. Einer Studie des Deutschen Zentrums für Altersfragen (DZA) von 2008 zufolge sind sie damit nicht alleine: Für drei Viertel der Befragten war es wichtig oder sehr wichtig, Großmutter oder Großvater zu sein. Trotz der vielen Enkel, lassen es sich Karin und Wolfgang aber nicht nehmen, gemeinsam zu verreisen. "Wir sind ja nicht geknebelt", sagt Karin lachend. Auch wenn sie sich wegen der vielen Fußballtrainings momentan auf Kurztrips beschränken müssen.

© SZ vom 25.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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