Schulprojekt "Heroes" in Karlsfeld:Helden der Integration

Heroes

Schüler der Karlsdorfer Mittelschule diskutieren, was Ehre für sie bedeutet und welche Rolle Religion im Alltag spielt.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Ehre, Unterdrückung und männliche Dominanz: Jugendliche mit Migrationshintergrund diskutieren an der Karlsfelder Mittelschule über traditionelle und moderne Rollenverständnisse.

Von Sebastian Jannasch, Karlsfeld

Ein manchmal rüder Ton und Streitereien sind auf einem Pausenhof nichts Ungewöhnliches. Das ist auch an der Karlsfelder Mittelschule nicht anders. Doch an einer Lehreinrichtung, unter deren Dach Kinder aus 26 Staaten zusammen lernen, brechen Konflikte auch schon einmal entlang kultureller Linien aus. "Da heißt es dann zum Beispiel: ,Dein Volk hat meine Verwandten getötet'", sagt Tina Rechl, Jugendsozialarbeiterin an der Schule. Auch Aussagen wie "Zu Zeiten des Osmanischen Reichs haben wir euch zerstört" oder "Das beschmutzt meine Ehre" kämen vor, berichten Schüler einer neunten Klasse, die vor Kurzem an einem Workshop teilnahmen, der vom Augsburger Verein Brücke veranstaltet wurde.

Gegen Unterdrückung und überholte Vorstellungen von Ehre

Die Idee des Projekts "Heroes" stammt ursprünglich aus Schweden. "Es geht darum, sich in Kursen gegen die Unterdrückung von Frauen, überholte Vorstellungen von Ehre und diskriminierende Wertevorstellungen zu engagieren", erklärt Gruppenleiter Muhterem Yilmaz. Ziel ist es, junge Männer mit Migrationshintergrund zu schulen und sie dann an Schulen zu schicken, wo sie mit Jugendlichen, die ebenfalls aus Einwandererfamilien stammen, traditionelle Rollenverständnisse offen ansprechen und den Gedanken eines toleranten und gleichberechtigen Miteinanders stärken.

Im Unterricht bleibt keine Zeit, um Konflikte zu diskutieren

Jugendsozialarbeiterin Rechl hat das "Heroes"-Team an die Mittelschule geholt, weil ihr manch achtlos dahingesagte Beleidigung Sorge bereitet. "Gerade in Zeiten, in denen die Themen Zuwanderung, Flüchtlinge, religiöser Terrorismus allgegenwärtig sind, finde ich es wichtig, nicht alles zu vermischen und interkulturell zu vermitteln." Drei neunte Klassen der Mittelschule nahmen an dem Workshop teil. Auch Klassenleiter Claudius Meyer beteiligte sich mit seiner Klasse 9b an dem Kurs. Fast alle seiner Schüler paukten im vergangenen Jahr noch in Übergangsklassen intensiv Deutsch. Die Kinder mit Migrationshintergrund wurden für den Regelunterricht fit gemacht. Kulturell geprägte Beleidigungen kommen immer mal wieder vor, sagt Meyer. "Im Fachunterricht bleibt aber kaum Zeit, solche Konflikte intensiv zu besprechen." Das wäre aber nötig, um Veränderungen der Wertevorstellungen anzuregen und Vorbehalte aufzulösen.

Heroes

Die Augsburger Workshop-Leiter Eldar Ljuca (links) Michael Samet (rechts) vom Projekt "Heroes" stellten bei dem Kurs patriarchalische Denkmuster infrage.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Ausgeführt wird der "Heroes"-Kurs von zwei jungen Männern, die selbst auch einen Migrationshintergrund haben, ähnlich alt sind und deshalb von den Schülern als glaubwürdig anerkannt werden. In Karlsfeld übernehmen das Michael Samet, 18, der aus einer deutsch-türkischen Familie stammt, und der 19-jährige Eldar Ljuca, der montenegrinische Wurzeln hat. Zuerst zeigen die beiden ein Musikvideo des Rappers Eko Fresh, in dem der Sänger einen Ehremord thematisiert. Anschließend diskutierten die zwei Workshop-Leiter mit den Schülern darüber, was Ehre für sie bedeutet. "So etwas hat nichts damit zu tun, die Ehre der Familie zu bewahren. Das ist einfach kriminell", sagt eine Schülerin, die aus einem muslimischen Haushalt stammt. Ihre Mitschüler nicken. Einig sind sich die 14- bis 18-jährigen Schüler aber auch, dass es unterschiedliche Rollenverständnisse und Vorstellungen gibt, wie wichtig Religion und Tradition sind.

Geht das, kulturübergreifende Partnerschaften?

In einem Rollenspiel bringen die "Heroes" außerdem das zuweilen heikle Thema von kulturübergreifenden Partnerschaften zur Sprache. Ein muslimischer Schüler berichtet, dass er es nicht gut finden würde, wenn seine Schwester einen andersgläubigen oder atheistischen Deutschen heiraten wollen würde. Daraufhin hakt Gruppenleiter Yilmaz nach, welche Bedeutung die Religion sonst in seinem Leben habe, ob er täglich mehrfach bete und den Ramadan einhalte. Der Schüler verneint. "Diese Widersprüche und übernommenen Werte müssen wir konkret ansprechen und die Schüler anregen, selbst kritisch darüber nachzudenken", sagt Yilmaz.

Auch der 14-jährige Beren, dessen Eltern aus der Türkei stammen, kennt kulturelle Vorbehalte. "Ich glaube, dass es meinen Eltern lieber wäre, wenn ich mit einem muslimischen Mädchen zusammen wäre. Sonst könnte es auch schwierig werden, die unterschiedlichen Traditionen und Feiertage zusammenzubringen", sagt er. Andere Schüler meinen, dass es vor allem darum gehen muss, dass die Partner glücklich sind, egal welche Religion sie haben.

Junge Leute können Vorurteile überwinden

Während das Augsburger Team in anderen Workshops den Schwerpunkt auf die religiöse Radikalisierung legt, konzentrieren sie sich an der Karlsfelder Mittelschule auf die Rolle der nationalen Identität. Denn in der Klasse 9b stammen viele Schüler aus Balkanländern, die noch bis vor wenigen Jahren bitterlich verfeindet waren. "Bei uns ist Nationalität wichtiger als Religion", erzählt die 14-jährige Erleta, deren Eltern muslimische Kosovo-Albaner sind. "Mein Vater hätte kein Problem mit einem christlichen Albaner, mit einem muslimischen Serben aber schon." Daraufhin gibt Kursleiter Eldar Ljuca zu bedenken: "Als junge Leute liegt es in eurer Hand, die Vergangenheit und Vorurteile zu überwinden." Klassenleiter Meyer ist mit der Veranstaltung zufrieden: "Ich finde den Austausch sehr sinnvoll. Die Kurse sollten wir fortsetzen."

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