Schüleraustausch mit Muro Lucano:"Guten Tag! Bist du ein Bauer?"

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Die Mittelschule Karlsfeld hatte für einige Tage zwölf Schüler aus der italienischen Partnergemeinde Muro Lucano zu Gast. (Foto: Toni Heigl)

Die zwölf Austauschschüler aus Karlsfelds italienischer Partnergemeinde Muro Lucano kennen keine Sprachbarrieren. Sie bringen gleich ihre neu erworbenen Deutschkenntnisse an. Und im Zweifelsfall findet die Konversation auf Englisch statt

Von Gregor Schiegl, Karlsfeld

Es werden wieder Mauern hochgezogen und Zäune gebaut, in vielen Staaten erlebt der Nationalismus eine beängstigende Renaissance. Europa hat schon bessere Tage gesehen. Aber es gibt auch ermutigende Szenen. Zum Beispiel im Klassenzimmer der Mittelschule Karlsfeld. Zwölf Jugendliche aus Italien sind zu Gast aus Muro Lucano, außerdem besuchen 20 Karlsfelder das Städtchen in der süditalienischen Region Basilicata. Seit fünf Jahren gibt es die Städtepartnerschaft zwischen Karlsfeld und Muro Lucano.

Montagvormittag, draußen scheint die Sonne, auf den Bänken liegen Wörterbücher. Alessandro kann schon ein paar Brocken Deutsch. "Guten Tag" zum Beispiel oder "Bist du ein Bauer?" In einer Gemeinde, in der es gerade noch eine Handvoll Landwirte gibt, keine sehr hilfreiche Wendung. Aber lustig. Für ernsthafte Konversation gibt es ja Englisch. Und wenn einem mal eine Vokabel nicht einfällt, flüstert Lehrerin Mihrican Sevinc das Wort ein. Learning by talking. In Italien läuft das ein bisschen anders. "Wir machen viel Theorie und Grammatik", erzählt Alessandro. "Aber im Unterricht haben wir kaum Möglichkeit, sie auch praktisch anzuwenden."

Die Italiener kommen von einer weiterführenden Schule, einem Lyzeum. Die Berufsziele sind entsprechend ambitioniert: Fabio will in Mailand studieren, Giuseppe strebt ein Informatikstudium an, gerne auch in Deutschland. Und Alessandro will Anwalt werden. In seiner Familie gibt es schon zwei Juristen. Die Karlsfelder Mittelschüler können von solchen Laufbahnen nur träumen. Aber in der Begegnung scheint das keine Rolle zu spielen. Als Außenstehender muss man erst einmal fragen, wer hier Italiener ist und wer Deutscher. Sehen kann man das nämlich nicht.

Tags zuvor waren die Schüler zusammen auf dem Volksfest in Markt Indersdorf, bayerisches Brauchtum schnuppern. Den Gästen hat es gefallen, natürlich haben sie auch das Bier probiert. Allen hat es geschmeckt, yes, yes. Heftiges Kopfnicken. Und wie fanden sie die Blasmusik? Wieder Kopfnicken. Diesmal eher höflich und die diplomatische Note: "Das Bier war besser." Nur eins hat Alessandro schwer irritiert. Im Festzelt wurde Adriano Celentano gespielt - mit deutschen Texten. Fast so, als würde man Helene Fischer auf einem apulischen Weinfest spielen mit dem Text, "senzia fiatto, nella notte".

Ansonsten haben sie noch nicht sehr viele Eindrücke sammeln können in den ersten Tagen, vielleicht wirken manche Statements deshalb eher wie aus dem schwarz-rot-goldenen Klischee-Bilderbuch abgeschrieben. Alles sei so sauber hier, staunt Giuseppe, sogar die öffentlichen Toiletten. "Very clean". Und natürlich findet auch die deutsche Ordnung Lob. "Die Städte sind sehr gut organisiert", sagt Alessandro. Die Straßen sind breit, der Verkehr hat viel Platz." Das mögen die Karlsfelder anders sehen, wenn sich morgens und abends wieder die Blechlawine über die Münchner Straße schiebt. Aber alles relativ. In Karlsfeld muss niemand rückwärts durch verwinkelte Gässchen rangieren, verwinkelte Gässchen gibt es in Karlsfeld nämlich nicht. In Muro Lucano schon.

Man könnte sogar behaupten, Karlsfeld und Muro Lucano seien so unterschiedlich, dass es unterschiedlicher kaum mehr gehe. Auch wenn die Karlsfelder fast pleite sind, die Wirtschaft brummt, in der Gemeinde wird gebaut auf Teufel komm raus; der Ort ist auf mehr als 20 000 Einwohner explodiert. Dabei existiert er kaum 200 Jahre. Viel Geschichte gibt es hier nicht: Die klapprige Ludl-Kapelle an der Münchner Straße ist das einzige denkmalgeschützte Gebäude. Ganz anders Muro Lucano: Das Städtchen hat weniger als sechstausend Einwohner, aber seine Geschichte, reicht zurück bis in die Antike. Angeblich hat sich sogar schon Hannibal vor mehr als 2000 Jahren unterhalb der auf einem beschaulichen Hügel gelegenen Stadt mit den Römern gekloppt. Muro Lucano ist Postkartenidylle pur. Das liegt aber auch daran, dass die Region nicht besonders wirtschaftsstark ist. Lange Zeit galt die Basilicata als das Armenhaus Italiens.

In den Sechzigerjahren kamen viele als Gastarbeiter von dort nach Karlsfeld. Von den mehr als 600 Italienern, die heute in Karlsfeld leben, sind viel Abkömmlinge aus der Basilicata, in zweiter, teilweise sogar dritter Generation. Der Friseur Michele Fezzuoglio, der seinen Laden in zentraler Lage in München hat, gehört zu ihnen. Er ist Vorsitzender des Karlsfelder Vereins Muro Lucano Basilicata und so etwas wie der Architekt der Städtepartnerschaft. Er hat sie angeschoben, er organisiert auch den Austausch zusammen mit Angelo Troiani. Michele und Angelo arbeiten so eng zusammen, dass sie manchmal als eine Person auftreten: als "Michelangelo".

Michelangelo also ist sehr zufrieden mit der fünf Jahre alten Städtepartnerschaft. Es gibt regen Austausch, nicht nur zwischen den Kommunalpolitikern, sondern auch zwischen den Bürgern. Aus Karlsfeld sind es vor allem kulturbeflissene Menschen reiferen Alters, die nach Muro Lucano reisen. Michele Fezzuoglio ist es aber wichtig, dass auch viele junge Menschen die Städtepartnerschaft mit Leben füllen. "Ich will, dass wir eine bunt gemischte Gruppe hinbekommen, alt und jung."

Nur eines scheint den Italienern an ihrem Gastort nicht zu gefallen. "Das Essen hier ist ganz anders", merkt Giuseppe an. Vor allem die Soßen seien seltsam. Es tue ihm leid, aber das Essen sei nicht so nach seinem Geschmack. So geht es auch den anderen. Sie wirken fast erleichtert, dass es endlich mal einer sagt. Michele Fezzuoglio will das so nicht stehen lassen: "Es gibt so gute Braten hier", schreit er ins Telefon. Und er zählt all die Leckereien auf, welche die bayerische Küche zu bieten hat. Anfang August findet in Muro Lucano ein dreitägiges Partnerschaftsfest statt, Michele Fezzuoglio hat bereits den Transport der bayerischen Spezialitäten in seine süditalienische Heimat organisiert. Inklusive dem beliebten birra bavarese.

© SZ vom 20.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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