Ruth Klüger in Dachau:Spielerfrauen

Ruth Klüger in Dachau: Es werde ein kurzer Roman, sagt Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger. Und meint etwa 300, 400 Seiten.

Es werde ein kurzer Roman, sagt Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger. Und meint etwa 300, 400 Seiten.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Ruth Klüger probiert ihr Romanmanuskript vor kleinem Publikum im Begegnungsraum der Versöhnungskirche aus.

Von Viktoria Großmann, Dachau

Gerade ist Ruth Klüger in Wien gewesen. Dort erhielt die Literaturwissenschaftlerin und Holocaustüberlebende von der Universität die Ehrendoktorwürde. Die selbst erforschte Doktorwürde trägt sie bereits seit 1967. Nun aber steht die 83-Jährige an einem Pult vor einem kleinen Publikum von vielleicht 45 Menschen im Begegnungsraum der Versöhnungskirche Dachau. Sie liest aus ihrem unfertigen, unveröffentlichten Manuskript zu ihrem ersten Roman. Eine Weltpremiere und eine Sensation für Literaturwissenschaftler, Buchbetriebsmenschen, Leser. Eigentlich ein Termin für das Literaturhaus in München. Manchmal hat Dachau einfach ein unverdientes Glück.

"Spielerroman" heißt das Manuskript. Würde Ruth Klüger ihren Feminismus an politisch-korrekter Schreibweise festmachen, müsste es Spielerinnenroman heißen. Es geht um drei Frauen, drei Generationen, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Nur die Zukunft wird am Ende überleben. Das Geschehen spielt sich zum größten Teil in Amerika ab, wo Ruth Klüger seit 1947 lebt. Als Literaturwissenschaftlerin weiß Klüger genau, was sie konstruiert, welche Konflikte in welche Konstellationen zu verpacken sind - sie interpretiert schon während des Schreibens. So etwas kann schiefgehen, wenn alles zu durchdacht ist und sich am Ende wie ein Lehrbeispiel liest.

Danach sieht es im Moment aber nicht aus. Das Publikum ist begeistert, Klüger schafft es, Menschen an diesem Ort zum Lachen zu bringen. Mit ihrer Lakonie, ihrer Lebensweisheit, ihrer Unverfrorenheit. Protagonistin Isha muss sterben. Warum? "Weil, sie glaubt, sie beherrscht ihr Leben", sagt Klüger. "Und das wollte ich ihr zeigen, dass sie das nicht tut."

Ruth Klüger lehrte in Princeton, der University of California, in Göttingen. Vielen Leser bekannt wurde sie mit ihren autobiografischen Werken "weiter leben. Eine Jugend" von 1992, in dem sie schildert, wie sie als Kind den Holocaust überlebte und "unterwegs verloren" von 2008. Auch ihr erster Roman ist teils autobiografisch. Ihre Erinnerungen, ihre Erlebnisse verteilt sie auf die Figuren der Großmutter Hannah und deren Tochter Isha. Ersterer schreibt sie ihre Erfahrungen als Kind im Konzentrationslager Auschwitz ein. Letztere ist ebenfalls Literaturwissenschaftlerin. Über sie heißt es im Manuskript: Politik und Feminismus muss man für sich behalten, bis die Karriere auf den Weg gebracht ist. Mit Isha teilt Klüger, wie sie ihren Zuhörern erklärt, die Vorliebe für Black Jack. Die Großmutter hingegen spielt am liebsten Roulette, die Enkelin Jessica liebt das Würfelspiel Craps. Jeder Frau ihr Spiel. Während Hannah versucht, beim Roulette den Zufall zu besiegen und damit gegen den Zufall anrennt, der ihr das Leben gerettet hat, glaubt Isha selbst, das Spiel noch beherrschen zu müssen - Black Jack gibt ihr am ehesten die Illusion, das zu können. Die Enkelin überlässt sich beim Würfeln ebenfalls dem Zufall - nimmt ihn aber in Form der Würfel in ihre eigene Hand.

Es wird ein kurzer Roman, sagt Ruth Klüger, 300, 400 Seiten. "Kein Problemroman des 20. Jahrhunderts." Es sei nicht so viel Platz für die Entwicklung ihrer Figuren. Schade, man würde ja gern mehr erfahren über die drei Frauen und wie sie die Erinnerung in die Zukunft tragen. Doch jetzt muss sie sich erst einmal aufraffen, überhaupt zu Ende zu schreiben, sagt Ruth Klüger. Die Figur Hannah muss noch sterben. Aber wie? Schon zweimal hat sie sie umgebracht. "Aber das war noch nicht ganz richtig." - Probleme einer Romanautorin. Die Dachauer durften Ruth Klüger ein wenig bei ihrer Arbeit zusehen. Und nur sie, sagt die Autorin. Der Rest der Welt aber bekommt den Text erst zu sehen, wenn er fertig ist.

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