Röhrmoos:Im Dickicht der Befindlichkeiten

Der Gemeinderat Röhrmoos debattiert über einen dringend nötigen Hort, könnte ihn sich in der bald aufgelassenen Sportgaststätte vorstellen und vertagt dann doch die Entscheidung - zum Entsetzen der Zuhörerinnen.

Wolfgang Eitler

Einige Frauen sind nah daran, in Tränen auszubrechen, eine zittert am Körper, ihre Sprecherin Natascha Cutugno wirkt noch einigermaßen gefasst. Aber nach einer mehrstündigen Debatte im Röhrmooser Gemeinderat, ob und wie ein Hort gebaut werden soll, bricht es aus ihr heraus: "Ich wähle die alle nicht." Sie meint vor allem die CSU-Fraktion und einen Teil der Freien Wähler. "Ich werde all meinen Bekannten und allen im Kindergarten erzählen, was hier geschehen ist." Der Gemeinderat hat das Thema auf eine Sondersitzung in zwei Wochen vertagt.

Röhrmoos: Völlig verwaist: die Sportgaststätte in Röhrmoos, einst der gesellschaftliche Mittelpunkt der Gemeinde. Jetzt könnte dort ein Hort einziehen.

Völlig verwaist: die Sportgaststätte in Röhrmoos, einst der gesellschaftliche Mittelpunkt der Gemeinde. Jetzt könnte dort ein Hort einziehen.

(Foto: Toni Heigl)

Vielleicht sollte Natascha Cutugno allen auch erzählen, dass im Gemeinderat Röhrmoos endlich einmal nach fast zwölf Jahren Bürgermeister Hans Lingl eine richtige Debatte stattgefunden hat, dass endlich nicht eine interne Sitzung des Bürgermeisters mit den Fraktionsvorsitzenden ausgereicht hat, um Themen beschleunigt reibungslos zu verabschieden, oder dass in einer Klausurtagung Beschlüsse vorab festgezurrt werden und die Diskussionen im Gemeinderat wie demokratische Alibiveranstaltung wirkten. Das beste Beispiel dafür ist immer noch das zentrale Anliegen einer Ortsmitte, als die Bürger den Prozess der Entscheidungsfindung mangels Insiderwissen teilweise nur schwer nachvollziehen konnten, weil immer wieder jemand sagte: "Das haben wir doch schon besprochen." Am Dienstagabend war eben dies nicht der Fall. Denn ein Großteil des Gremiums hatte auf eine öffentliche Debatte gepocht.

Deswegen durfte man beobachten, wie die Gemeinderäte tatsächlich plötzlich einen exemplarischen kommunalpolitischen Konflikt auszutragen hatten. Der gesamte Landkreis braucht Ganztagsbetreuungen, weil die Familien ohne doppeltes Einkommen nicht mehr auskommen. Die Frauen können nicht, sie müssen arbeiten. Deshalb die Erregung der Mütter, die am Dienstagabend der Diskussion zuhörten. Deshalb auch die Verzweiflung, weil für sie die berufliche Existenz davon abhängt, ob es Röhrmoos gelingt, kurzfristig einen Hort zu stemmen. Altomünster führt eine solche Diskussion, Dachau und Karlsfeld ebenfalls.

Aber in Röhrmoos hat sich der Konflikt verschärft. Noch im Januar hatte Bürgermeister Lingl (Freie Wähler) stolz verkündet, wie optimal die Gemeinde mit Kindergartenplätzen und Krippen versorgt ist. Damals dachte seine Fraktion der Freien Wähler über den logischen Schritt nach, einen Hort zu bauen. Denn es ist ja klar, dass Frauen, die ihre Kinder in die Grundschule geben, nicht plötzlich zu arbeiten aufhören können und wollen. Lingl winkte ab. Nun verfügt die Gemeinde zwar über eine Mittagsbetreuung, die auch ausgebaut wird, aber sie reicht nicht aus. Die Einschreibung am evangelischen Kindergarten im Ortsteil Großinzemoos Anfang Mai hat jedoch ergeben, dass der dortige Hort neun Grundschulkinder ablehnen muss. Dabei jongliert Leiterin Doris Seidl-Brenner schon heftig, um möglichst vielen Eltern wenigstens eine gewisse Betreuungszeit anzubieten. Nach der Sitzung in der kühlen Nacht vor der Rathaus nach Mitternacht sagt sie dem stellvertretenden Bürgermeister Dieter Kugler (CSU): "Wenn ich das nicht könnte, dann wären noch viel mehr Kinder ohne Hortplatz."

Die Gemeinderäte haben erst wenige Tage vor der Sitzung erfahren, wie sehr es in Röhrmoos brennt, wie dringend die Gemeinde auf die Schnelle mindestens 35 Hortplätze benötigt. Womöglich sind es noch viel mehr, weil viele Eltern die Mittagsbetreuung nur aus der Not heraus angenommen haben. Deshalb schien auch der Vorschlag des Bürgermeisters schlüssig, die Gastwirtschaft des örtlichen Sportvereins umzubauen. Die steht die meiste Zeit eh leer, der Wirt hört auf. Der Vorstand will nicht mehr, weil er um seine Gemeinnützigkeit fürchtet, wenn er weiterhin Defizite aus Mitgliedsbeiträgen ausgleicht, die für den Sportbetrieb gedacht sind.

Plötzlich entwickelte sich eine Diskussion, welche die Notwendigkeit eines Horts mit Zweifeln an den Daten und Zahlen des Sportvorstands verband. Dazu kamen wehmütige Reminiszenzen an eine Zeit, als eben diese Wirtschaft das gesellschaftliche Zentrum der Gemeinde war. Und einige fragten sich, wie es denn mit dem Bürgersaal dort oben und den Schützenvereinen im Keller weitergeht, wenn der Hort einen Großteil des Platzes belegt.

Gemeinderat Otto Dörr von den Freien Wählern sah seinen Theaterverein gefährdet, der im Bürgersaal neben der Gaswirtschaft inszeniert. Er ermahnte Parteifreund Lingl mit den Vereinen zu sprechen und in die Entscheidungsfindung einzubeziehen: "Das ist Deine Pflicht." Lingl konterte verärgert: "Schön, dass ich nach elf Jahren erfahre, was meine Pflicht als Bürgermeister ist."

Die CSU präsentierte sich als geschlossener Block, der sich von der Dringlichkeit des Antrags auf Bau eines Horts überrumpelt fühlte und auch die Position des Sportvereins bezweifelte. Dessen Vorstand hatte in zwei Brandbriefen unverhohlen mit dem geschlossenen Rücktritt gedroht, falls die Gemeinde die Wirtschaft nicht für einen Euro pro Jahr pachtet. Stefan Sedlmair bekam einen richtig roten Kopf und rief in die Runde: "Wir haben so viel Geld in die Gastwirtschaft gepumpt. Und jetzt soll sie zugenagelt werden?"

Und so vermischten sich Vorbehalte gegen den Sportverein, die nach der Sitzung von der CSU, beispielsweise von Gemeinderat Simon Schmid sehr direkt geäußert wurden ("Vielleicht ist nicht die Gastwirtschaft das Problem, sondern der ganze Verein"), mit dem Gefühl einer völlig unzureichenden Tischvorlage. CSU-Gemeinderat Matthias Rager: "Ich will eine klare Raum- und Kostenplanung". Dazu kumulierte sich der Unmut darüber, die letzten Monate über die tatsächlichen sozialen Probleme nicht ausreichend informiert worden zu sein. Volker Nist, Fraktionssprecher der Freien Wähler, wollte einen Konflikt zwischen Tradition und Moderne, zwischen den Anhängern der Sportgaststätte und denjenigen, die sie nicht mehr wollen, erkannt haben. Er plädierte gemeinsam mit seiner Fraktionskollegin Ulrike Mayer auf eine Vertagung. Je später es wurde, um so mehr verhedderten sich die Gemeinderäte im Dickicht ihrer Befindlichkeiten und verloren die Zuhörerinnen aus dem Sinn, deren Empörung stetig wuchs. Einige von ihnen sind nämlich deswegen nach Röhrmoos gezogen, weil sei dem Versprechen der Gemeinde auf eine gute Kinderbetreuung geglaubt haben.

Während der gesamten Diskussion saß die evangelische Pfarrerin und Vorsitzende des Kindergartens, Christiane Döring neben Bürgermeister Lingl. Sie hatte den Gemeinderäten eindringlich die bedrückende Lage skizziert und auch auf die Notwendigkeit eines schnellen Beschlusses hingewiesen. Weil es auf einem leer gefegten Stellenmarkt kaum noch Erzieherinnen gibt, stehe sie als Vorsitzende des Trägervereins unter Zeitdruck. Noch lägen Bewerbungen vor. Hoffentlich noch ein paar Wochen. Es braucht wohl den Großmut einer Pfarrerin, um nach dieser fast vierstündigen Aussprache der SZ gelassen zu sagen: "Ich habe den großen Willen erkannt, einen Hort zu errichten." Die Mütter im Zuhörerraum haben eben dieses Gefühl nicht mehr. Wahrscheinlich hat die Pfarrerin sogar recht.

Es fragt sich halt nur, warum das Gremium an diesem Abend nicht dem Vorschlag von Stefan Lorenz (Freie Wähler) sowie den beiden Riedenzhofener Kollegen Werner Mayer und Josef Schmid gefolgt ist. Alle drei haben zu einem Grundsatzbeschluss für einen Hort aufgefordert; ergänzt um einen Auftrag an die Verwaltung. Man kann hinzuführen, egal, wo der Hort nun gebaut wird, ob im Sportheim oder in einem Provisorium aus Containern. Die Grundschule fällt als Alternative weg, außer die Klasse mit geistig behinderten Schülern von Schönbrunn würde wegziehen. Lorenz: "Das kann niemand ernsthaft wollen." Josef Schmid verdeutlichte, dass der evangelische Kindergarten nicht als Bittsteller im Gemeinderat vorstellig wurde, sondern als ein Partner, der ein Angebot unterbreitet: "Ich finde das sehr, sehr schön. Es hat mich sehr gefreut." Am Dienstag, 28. Mai, 19.30 Uhr soll nun die endgültige Entscheidung fallen.

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