Reformationsjubiläum:Der Antisemit Martin Luther

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Evangelische Kirchen schauen dem Reformator genau aufs Maul

Antijudaismus und Antisemitismus gelten als eine irrationale Abweichung vom westlichen Denken, das auf Freiheit, Toleranz und Fortschritt ausgerichtet ist. Eine beruhigende Erklärung, macht sie doch glauben, der Judenhass sei eine Randerscheinung der abendländischen Geschichte gewesen. Das Gegenteil, und dieses Eingeständnis fällt noch nach Auschwitz vielen schwer, ist der Fall: Judenfeindschaft gehörte von der Antike an zum Kern des abendländischen Denkens und Weltbilds, hatte eine geradezu konstitutive Funktion. Selbst viele der großen Aufklärer waren wütende Judenhasser. Der längste Eintrag in der von Voltaire (1694-1788) und anderen französischen Aufklärern herausgegebenen "Encyclopédie" versammelt die dümmsten und schlimmsten antisemitischen Klischees im damaligen Europa. Und der große deutsche Philosoph Immanuel Kant wünschte den Juden einen schönen Tod.

Der Antijudaismus der christlichen Kirchen führte nicht zwangsläufig zum nationalistisch-rassistischen Antisemitismus Nazideutschlands, aber er bereitete den Boden. Wer nun glauben möchte, dass nach Auschwitz diese unheilvolle Tradition des Judenhasses abgebrochen sei, irrt gewaltig. Kirchenrat Björn Mensing, Historiker und Pfarrer an der Evangelischen Versöhnungskirche auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau, setzt sich in einem Vortrag zu 500 Jahre Reformation mit der judenfeindlichen Tradition seiner Kirche auseinander. "So müssen wir sie wie die tollen Hunde aus jagen". In seiner Spätschrift "Von den Juden und ihren Lügen" (1543) rief Martin Luther die Obrigkeit zur Vertreibung der Juden auf, die nicht zum Christentum konvertieren wollten. Der Antisemitismus der NS-Zeit, vor allem das Hetzblatt "Der Stürmer", aber auch die "Deutschen Christen" (DC) innerhalb der evangelischen Kirche bezogen sich direkt auf den Reformator, wie Mensing schreibt. Schon der 450. Geburtstag Luthers im November 1933 wurde propagandistisch instrumentalisiert. DC-Theologen sahen gar im Pogrom von 1938 eine Befolgung von Luthers Ratschlägen: "An Luthers Geburtstag brennen in Deutschland die Synagogen". Der Thüringer Landesbischof Martin Sasse veröffentlichte nach den Novemberpogromen, bei denen 11 000 jüdische Männer allein ins KZ Dachau verschleppt wurden, in hoher Auflage die Broschüre "Martin Luther über die Juden: Weg mit ihnen!" Im Vorwort preist er den Reformator als "den größten Antisemiten seiner Zeit".

Andere Protestanten wie der bayerische Landesbischof Hans Meiser orientierten sich eher an Luthers früher Judenschrift von 1523, in der er noch zu werbender Judenmission statt zur Vertreibung aufgerufen hatte. Aber auch dieser "gut gemeinte Antisemitismus" (Olaf Blaschke im Blick auf den Katholizismus) innerhalb der Bekennenden Kirche festigte letztlich die Basis für die Akzeptanz judenfeindlicher Haltungen und für das Schweigen der bayerischen Kirchenleitung zum Massenmord an den Juden.

Die drei evangelischen Kirchen in Dachau - die Evangelisch-Lutherische Friedenskirche und Gnadenkirche sowie Evangelische Versöhnungskirche - möchten einen kritischen Beitrag zum Jubiläum 500 Jahre Reformation leisten. "Bei aller dankbarer Erinnerung an die Verdienste Martin Luthers müssen auch seine dunklen Seiten offen thematisiert werden", betont Kirchenrat Mensing. Ob es gelingt, in den Köpfen der Nachgeborenen den Antisemiten Luther, den "größten seiner Zeit", vom sprachbildenden Bibelübersetzer und Kirchenerneuerer zu scheiden? Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland hat sich 2015 in aller Deutlichkeit von Luthers judenfeindlichen Äußerungen distanziert und 2016 jeder christlichen Judenmission eine Absage erteilt. "Im Trubel der oft unkritischen Jubiläumsveranstaltungen drohen diese Erkenntnisse unterzugehen", erklärt Kirchenrat Mensing.

Die Bayreuther Regionalbischöfin Dorothea Greiner fordert, die NS-Verstrickungen evangelischer Pfarrer stärker aufzuarbeiten. "Nur wenn wir als Kirche selbst ehrlich und selbstkritisch unsere Vergangenheit anschauen, können wir heute glaubwürdig rechtsextremen oder gar antijüdischem Gedankengut entgegentreten."

Mittwoch, 18. Oktober, 19.30 Uhr. Gemeindesaal, Friedenskirche Dachau, Uhdestraße 2, Eintritt frei .

© SZ vom 18.10.2017 / hz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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