Realistisch und rauschhaft:Neues aus Arkadien

Kunst Empfang

Moderne Kunst mit langer Traditionslinie: Raimund Wünsche erklärt das Werk seines Freundes Markus Lüpertz.

(Foto: Niels P. Jørgensen / VG Bildkunst Bonn, 2018)

Beim "Kunst-Empfang" lernen die Besucher, wie sehr die Antike Denken und Wirken des Künstlers Markus Lüpertz geprägt hat

Von Gregor Schiegl, Dachau

So ein gesprenkelter Fußboden kann schon mächtig ablenken, das hat man bei den filigranen Grafiken der vergangenen Beuys-Ausstellung im Untergeschoss des Kaufhauses Rübsamen gemerkt. Bei der derzeit laufenden Nachfolgeschau stellt sich dieses Problem nicht. Die form- und farbmächtigen Arbeiten von Markus Lüpertz dominieren den Raum derart, dass der Pointillismus am Boden keinem mehr auffällt. So wie das Team vom Wasserturm, Sammler Josef Lochner und seine Mitstreiter Dieter Rothe und Gerhard Niedermair, die Schau aufgezogen haben, wirkt die Raumaufteilung geradezu perfekt. In einer Nische hängen die witzigen Konzertplakate, auf denen man Lüpertz als spitzbärtigen Piano-Mann sieht, als Geiger oder Drummer mit zu kurz geratenen Sticks. Optischer Fixpunkt ist der großformatige Holzstich "Der Hirte", den man schon beim Betreten am anderen Ende der Wand erblickt, nebst einem bunt bemalten Widder aus Bronze.

"Mir hat die Beuys-Ausstellung schon gefallen", sagt ein Besucher aus Dachau. "Aber die hier gefällt mir noch ein Stückchen besser." Auch Oberbürgermeister Florian Hartmann ist zu Besuch. Immerhin handele es sich bei Lüpertz um "einen der bedeutendsten Künstler der Gegenwart". Dass in einer 50 000-Einwohner-Stadt solche Ausstellungen stattfinden, sagt er vor knapp 200 Besuchern, noch dazu eine, die auf "ehrenamtlichem Engagement" beruhe und ganz ohne Fördermittel der Stadt auskomme, sei keine Selbstverständlichkeit. "Es ist ein großes Glück für die Stadt Dachau, dass Sie für uns wirken", sagt der Rathauschef zu den fleißigen Kunstfreunden des Fördervereins Wasserturm.

Es ist "Kunst-Empfang" auf der Lüpertz-Ausstellung, so eine Art Vernissage, nur eben mittendrin, die Ausstellung geht ja bereits in die Zielgerade. Es gibt Sekt und Salzstangen, viel Händeschütteln und natürlich auch Ansprachen. 2015 hatte es am selben Ort ja bereits eine Lüpertz-Ausstellung gegeben - mit dem Malerfürst höchstselbst, der sogar noch ein Free-Jazz-Konzert spielte, wie man es kennt, in altmodisch-dandyhafter Garderobe. Das hat diesmal nicht geklappt. Der Künstler hat einen vollen Terminkalender, für Dachau war diesmal kein Platz mehr. Dafür ist Raimund Wünsche gekommen, Freund von Markus Lüpertz. Früher war er in leitender Position in der Münchner Glyptothek und der Staatlichen Antikensammlung tätig. Von ihm erhofft Gerhard Niedermair einen "Einblick durch das Schlüsselloch Ihrer Freundschaft" auf Markus Lüpertz.

Diese Erwartung bedient Wünsch zunächst auch. "Man kann sein Werk nicht verstehen ohne sein Leben", sagt er und berichtet, wie Lüpertz sich in jungen Jahren durchs Leben geschlagen habe, wie er erfolglos Weinetiketten entwarf, wie er sogar im Bergbau unter Tage zugange war und warum er für die Achtundsechziger nichts übrig hatte: "Die waren ihm zu spießig." Viel erhellender für Besucher der Ausstellung ist allerdings, was der Experte für antike Kunst über den Neoexpressionisten zu sagen hat. "Lüpertz ist vielleicht der einzige Künstler, mit einer so engen Verbindung zur Antike", sagt Wünsche. Die archaisch-figürlichen Darstellungen greifen häufig Mythen auf - griechische Helden, Götter, Sehnsuchtsorte. Schon in der Antike sei die figürliche Darstellung idealisiert-abstrakt gewesen und keineswegs naturalistisch. Was Wünsche andeutet: In der antiken Kunst sind bereits jene Ansätze angelegt, die die Moderne später wieder aufgreifen wird, aber wohl kaum einer tut es so konsequent und radikal wie Markus Lüpertz, der "Realistisches und Rauschhaftes" in seinen Werken verknüpft. Er bemalt seine Skulpturen genauso bunt wie die alten Griechen, die ihrem Göttervater schon mal einen blauen Bart verpassten. "Die Künstler sind es, die die Götter erschaffen", sagt Wünsche. Ähnlich frei wie die Griechen, die ihren Pantheon beständig weiterentwickelten und auch immer mal wieder etwas dazu dichteten, gehe auch Lüpertz frei mit den Motiven um, spinne Geschichten weiter, fabuliere, lasse Daphne auch mal als wehrhafte Frau über ihren göttlichen Stalker triumphieren.

Wünsches Vortrag ist angenehm unakademisch, eine gelehrte Plauderei, die das Publikum ermutigt, Markus Lüpertz und sein Werk selbst zu entdecken und eigene Interpretationen zu wagen: "Lüpertz belässt die Werke vielsagend. Er ist selbst auch nicht festgelegt." Die Ausstellung läuft noch einschließlich 15. April. Der Eintritt ist frei.

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