Premiere:Es lebe das Chaos

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Das reduzierte Bühnenbild bei der Aufführung von "Der nackte Wahnsinn" bietet einen angenehmen Kontrast zu dem hektischen Treiben auf der Bühne. (Foto: Toni Heigl)

Rasante Dialoge, Situationskomik, furiose Schauspieler: Das Hoftheater Bergkirchen bringt die britische Erfolgskomödie "Der nackte Wahnsinn" auf die Bühne

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

Generalprobe: Eine etwas konfuse Schauspielertruppe rettet sich mit "Schätzchen", "Liebes" und ähnlichen Schmeicheleien vor einem sich heftig ankündigenden Gefühlstornado. Dotty (Janet Bens) trampelt in Hüttenschuhen, rosa Blüschen, grellem Rock und farblich exakt nicht abgestimmter Schürze über die Bühne, vergisst ständig Text und Requisiten, bei denen Sardinen eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Blondchen Brooke (Annalena Lipp) klimpert unnachahmlich aufreizend mit den Wimpern, verliert ihre Kontaktlinsen und findet sie unter tatkräftiger Mithilfe des Ensembles wieder. Frederic (Jürgen Füser) will seine Rolle eigentlich ganz anders anlegen und gibt das Sensibelchen. Die total überdrehte Belinda (Christina Schäfer) flattert im Seidenblüschen durch die Szenerie und intrigiert heftig im Hintergrund. Seldson (Tobias Seitz) ist mal wieder unauffindbar, weil auf der Suche nach der nächst erreichbaren Flasche. Garry (Ansgar Wilk) mimt mehr oder weniger erfolgreich den abgeklärten Profi, Regieassistentin Poppy (Lisa Wittemer) und Inspizient Tim (Stephan Roth) lassen sich vom aufgeblasenen Regisseur Lloyd (Herbert Müller) fast widerspruchslos durch die Gegend scheuchen. Türen knallen, öffnen und schließen sich - oder auch nicht. Es ist "Der nackte Wahnsinn" und der völlig abgefahrene Auftakt zur gleichnamigen Erfolgskomödie des britischen Autors Michael Frayn, in der übrigens nur die Sardinen wirklich nackert sind. Die Premiere fand am Freitag im ausverkauften Hoftheater Bergkirchen statt.

Mit dieser Inszenierung unter der Regie von Ansgar Wilk hat das Hoftheater einen furiosen Theaterspaß auf seine kleine Bühne gebracht. Wilk lässt seine Schauspieler alle Register ihres Könnens ziehen und behält doch die Fäden in der Hand. Keine leichte Aufgabe angesichts dieses witzigen, teils absurd komischen Stücks mit Tiefgang, das zu Klamauk hinter den Kulissen herausfordern könnte. Schließlich geht es um Theater im Theater. Mit anderen Worten: Es ist ein Stück im Stück. Eine raffinierte Handlung auf mehreren Ebenen, rasante Dialoge und köstliche Situationskomik erinnern an amerikanische Screwball-Komödien.

Doch Autor Frayn entlarvt zugleich das ganze Panoptikum menschlicher Eitelkeiten, setzt auf Esprit statt auf billige Publikumsanmache. Wilk und das gesamte Ensemble haben diese Vorgabe klug und mit viel Temperament umgesetzt. Ulrike Beckers hat die in diesem Stück unverzichtbaren sechs Türen mit wunderbaren Tapeten "verkleidet" und mit ihrem ruhigen Bühnenbild einen wohltuenden Kontrast zum überbordenden Geschehen geschaffen. Schließlich ist die Theatertruppe ist in Auflösung begriffen. Chaos allerorten: Kein Einsatz klappt mehr. In der Garderobe toben Machtkämpfe, Tränen fließen, die Kontaktlinsen sind mal wieder unauffindbar. Dottys heiß geliebte Sardinen begeben sich auf geheimnisvolle Wanderschaft bis hin ins Ehebett des Hausbesitzer-Pärchens, das sich auf der Flucht vor dem Finanzamt ausgerechnet im eigenen Haus versteckt. Ein mysteriöser Scheich tritt auf und wieder ab. Zuvor inkriminierte schwarze Bettlaken werden einer ganz speziellen Verwendung zugeführt. Die schauspielernden Schauspieler laufen zur Hochform auf. Diverse Machtkämpfe hinter den Kulissen, die das hingerissene Publikum selbstredend auf der Bühne verfolgen kann, führen zu immer neuen Allianzen, die wort- und tatkräftig ihre Partikularinteressen verfolgen. Annalena Lipp bringt als Brooke im schwarzen Hemdchen nicht nur die Herzen zum Glühen. Janet Bens ist in Gestalt von Haushälterin Dotty die personifizierte Konfusion. Jürgen Füser mutiert vom nonchalanten Großbürger zum Jammerlappen . Auch die übrigen Darsteller verwachsen förmlich mit ihren Rollen. Christina Schäfer zeigt, welche Bissgurkn hinter der Maske der überfürsorglichen Belinda steckt. Das Personal (Lisa Wittemer und Stephan Roth) probt den Aufstand. Wen wundert es, dass zum Schluss scheinbar niemand mehr den Durchblick hat und der nackte Wahnsinn regiert.

© SZ vom 18.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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