Porträt:Mein Tresen, mein Reich

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Einmal schütteln und fertig: Im "HiFive" serviert Jürgen Wiese neben klassischen Cocktails auch Getränke, die er sich selbst ausgedacht hat. (Foto: Toni Heigl)

Der Barkeeper Jürgen Wiese ist viel in der Welt herumgekommen. Er ist ein gefragter Mann in seinem Metier. Jetzt hat es ihn ins "HiFive" nach Dachau verschlagen, wo er sein eigenes Konzept umsetzen kann

Von Manuel Kronenberg, Dachau

Kleine, gelbe Stückchen Schale lösen sich von der faustgroßen Frucht und fallen auf das Schneidebrett. Gemächlich befreit der Mann mit den dunkelblonden Haaren und Vollbart die Zitrone von ihrer Hülle. Eile hat er keine. Die Bar öffnet erst in einer Stunde. Und so ein Eistee, den der Mann gerade zubereitet, der braucht eben auch seine Zeit. Aus den Zitronen presst er Saft, den er mit grünem Tee und Apfelsaft vermischt. Dazu Minze und die Zitronenschalen. Und alles lange ziehen lassen. Erst einen Tag später wird der Eistee fertig sein.

Der Tee kann also noch ein wenig warten. Jetzt will Jürgen Wiese erst mal seine Geschichte erzählen. Wie es ihn nach Dachau ins "HiFive" verschlagen hat. Er legt den Sparschäler zur Seite. Diese Geschichte braucht auch Zeit. Der 40-Jährige ist viel herumgekommen. Seit er 15 Jahre alt ist, arbeitet er in der Gastronomie. Mit 25 Jahren fängt Wiese an, sich ganz dem Job als Barkeeper zu widmen. Erst hier in Deutschland, in Freising, seiner Heimatstadt. Dann will er ins Ausland, arbeitet an der Bar auf einem Schiff. Dann steigt er in der Dominikanischen Republik ab. Danach Rimini, Italien. St. Gallen, Schweiz. Brighton und London, England. Wieder aufs Schiff. Und irgendwann zurück nach Deutschland: Landshut, Köln, Berlin, München, dort zuletzt in der Goldenen Bar. Und jetzt Dachau.

Aber warum ist er nun ausgerechnet hier gelandet? Dachau ist für einen Barkeeper wahrscheinlich nicht unbedingt die aufregendste Stadt. Doch Wiese fühlt sich wohl im HiFive-Restaurant hinter der Bar, zwischen den hohen Hockern und der Wand aus schwarzem Holz mit hellen Fugen. "Das haben die Jungs echt gut gemacht", sagt Wiese über die Einrichtung mit dunklem Fußboden, Tischen und Stühlen aus hellem Holz und Lampen mit Kupferschirmen. Mit "Jungs" meint er die Designer Franz Göttler und Tini Ammann und den Wirt Matthias Schilcher. Dass dessen Restaurant mitten im Gewerbegebiet so schön geworden ist, war aber nicht der einzige Grund für ihn, hier herzukommen.

Wiese öffnet den Kühlschrank, holt ein Bier heraus und stellt es auf den Tresen. Das Etikett zeigt einen Mann in Dachauer Tracht, daneben steht: "Brauburschen India Pale Ale". Es kommt von der Kellerbrauerei aus Prittlbach. Wiese legt besonderen Wert darauf, dass auf der Getränkekarte regionale Produkte stehen. So wie auch die Küche des HiFive Wert auf Regionalität legt. Außerdem stellen er und seine Kollegen alle Zutaten selbst her: Zucker, Zitronensaft, Limettensaft, verschiedene Sirups. Auch Ginger Ale oder Pink Grapefruit Limonade sind selbst gemacht. Und natürlich der Eistee.

Als Barkeeper kreiert Wiese immer wieder eigene Getränke. Auch die Rezeptur für den Eistee stammt von ihm. Er nimmt die Zitronenschalen und wirft sie in einen großen Behälter, der mit Tee gefüllt ist. "Das ist ein eigenständiger Eistee, der keine klassische Geschmacksrichtung hat. Sondern der schmeckt halt einfach geil." Wiese hat langjährige Erfahrung in seinem Metier. Und er wollte immer dazulernen. Das ist auch ein Grund, warum er so viel herumgereist ist. Und warum er sich so viel Literatur zulegt. Zu Hause steht seine eigene kleine Bibliothek mit nahezu hundert Büchern über Getränke. Sogar eins auf Französisch hat er sich gekauft, obwohl er die Sprache gar nicht versteht. Den Inhalt hat er mühsam mit Hilfe eines Wörterbuchs übersetzt.

Mit seinen Fähigkeiten kann es sich Wiese aussuchen, wo er arbeitet. Manchmal ist er auch für die Industrie tätig, hält Seminare und hilft Unternehmen, neue Getränke auf den Markt zu bringen. Er ist ein gefragter Barkeeper. Das liegt auch daran, dass er im vergangenen Jahr die "Bacardi Legacy" in Deutschland gewonnen hat, einen angesehenen Wettbewerb unter Cocktail-Kennern. Wiese erfand einen eigenen Drink, den Healing Meadow, und ist damit nach Sydney geflogen, um für Deutschland im globalen Finale anzutreten.

Gewonnen hat er nicht. Darüber ist er aber eigentlich ganz froh. Denn sonst wäre er gar nicht mehr zur Ruhe gekommen. Schon jetzt muss er einige Anfragen ablehnen, seinen Karriereweg ein bisschen bremsen. Herumreisen möchte er nämlich nicht mehr so viel, seitdem er mit seiner Frau ein Kind bekommen hat. Die Arbeit im HiFive kommt ihm sehr entgegen. In diesem Job kann er sein eigenes Konzept umsetzen - und ihm bleibt trotzdem noch genügend Zeit für seine Familie.

© SZ vom 30.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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