Politische Häftlinge im KZ Dachau:Ignoriert, verdrängt und vergessen

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In einer szenischen Lesung mit dem Münchner Theater Schauburg erinnert die KZ-Gedenkstätte an die ersten politischen Häftlinge, die nach Dachau deportiert wurden.

Von Walter Gierlich

Zu den Qualen der Dachauer KZ-Häftlinge gehörten sinnlose schwere Arbeiten. (Foto: DAH)

"Bei Dachau sehen wir uns wieder." Dieser Satz des kommunistischen Reichstagsabgeordneten Hans Beimler hat sich für ihn auf grausige Weise bestätigt. Gesagt hatte er ihn nach der Niederschlagung der Räterepublik 1919 und gemünzt war er auf den Sieg der Revolutionäre in der Schlacht von Dachau gegen die Freikorpstruppen. Doch im April 1933 wurde Beimler von den SS-Schergen bei seiner Einlieferung ins Konzentrationslager Dachau hämisch mit seinen eigenen Worten empfangen. In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai gelang Beimler trotz schwerer Misshandlungen die Flucht aus dem KZ Dachau, als einzigem Häftling im Jahr 1933. Drei Jahre später starb er im Spanischen Bürgerkrieg.

Auch Beimler gehört zu jenen politischen Gefangenen, die in der Nachkriegszeit "ignoriert, verdrängt und vergessen" wurden, wie Gabriele Hammermann, die Leiterin der KZ-Gedenkstätte, am Mittwochabend in einer Veranstaltung zum Gedenken an die ersten Häftlinge sagte. Sie trug den Titel: "Mit uns fing alles an". In den ersten Wochen und Monaten nach Eröffnung des Konzentrationslagers in Dachau am 20. März 1933 waren es vor allem Kommunisten, Gewerkschafter und Sozialdemokraten, die von den Nationalsozialsten verhaftet und ins KZ verschleppt wurden. Vereinzelt inhaftierten die Nazis auch Politiker der konservativen Bayerischen Volkspartei wie den späteren CSU-Minister Alois Hundhammer, dem die SS-Bewacher bei seiner Ankunft ein Schild umhängten, auf dem stand: "Den Hund hamma." Viele der politischen Gefangenen kamen nach einigen Monaten frei, andere - vor allem Juden - wurden noch 1933 ermordet, manche blieben zwölf lange Jahre im Lager.

Diese Zitate stammen aus einer szenischen Lesung, die die Gedenkstätte zusammen mit dem Münchner Theater Schauburg, dem Internationalen Dachau-Komitee, der Lagergemeinschaft Dachau, dem Stadtarchiv München, dem Archiv der Münchner Arbeiterbewegung und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes veranstaltete. Aus Briefen, Tagebuchnotizen und Erinnerungen lasen Julia Meier, David Johnston, Thorsten Krohn und Peter Wolter aus dem Ensemble der Schauburg am Mittwochabend vor etwa 150 Besuchern im Kinosaal der KZ-Gedenkstätte. Im vergangenen Jahr hatte es diese Veranstaltung bereits einmal in München gegeben, doch am historischen Ort zu lesen, sei noch einmal etwas anderes, sagte Krohn. Es sei auch ein Unterschied, ob man einen fiktiven Text lese oder authentische Berichte über grauenhafte Misshandlungen und schreckliche Leiden.

Vor allem Kalten Krieg und Antikommunismus machte Gedenkstättenleiterin Hammermann in ihrer Begrüßungsrede verantwortlich, dass die frühen politischen Häftlinge auch nach dem Krieg sozial isoliert und weitgehend vergessen wurden. "Das KPD-Verbot von 1956 stellte sie zusätzlich ins gesellschaftliche Abseits", erklärte sie. "Entschädigung bekamen nur wenige, die Summen waren gering, und in den Anerkennungsverfahren waren viele Hürden zu überwinden." Doch mittlerweile gibt es immer stärker das Bemühen, gerade die Frühzeit des Widerstands gegen die Nazi-Herrschaft und das Schicksal der ersten KZ-Häftlinge wieder in Erinnerung zu rufen. Im Herbst war dies auch Thema des Dachauer Symposiums zur Zeitgeschichte.

Den Besuchern aber liefen immer wieder Schauder über den Rücken, wenn etwa aus einem Zeitungsartikel über die Eröffnung des KZ in Dachau zitiert wurde, die keineswegs geheim und im Stillen über die Bühne ging: "Am Mittwoch wird in der Nähe von Dachau das erste Konzentrationslager eröffnet. Es hat ein Fassungsvermögen von 5000 Menschen. Hier werden die gesamten kommunistischen und - soweit notwendig - Reichsbanner- und marxistischen Funktionäre, die die Sicherheit des Staates gefährden, zusammengezogen, da es auf Dauer nicht möglich ist, wenn der Staatsapparat nicht so sehr belastet werden soll, die einzelnen kommunistischen Funktionäre in den Gerichtsgefängnissen zu lassen, während es andererseits nicht angängig ist, diese Funktionäre wieder in die Freiheit zu lassen", schrieben am 21. März 1933 die Münchner Neuesten Nachrichten. Rechtsbruch in aller Offenheit also, über den sogar die New York Times auf ihrer ersten Seite berichtete.

"Gefährlicher Hetzer", "Kommunist und bodenständiger Verbrecher", Mitglied des Kampfbunds und Agitator". Solche Bezeichnungen standen in der Personalakte bei der Einlieferung von 35 Häftlingen aus Augsburg, die Julia Meier auszugweise vorlas. Claus Bastian, Gründer des "Marxistischen Studentenclubs" in München und Häftling mit der Nummer eins, wurde zitiert mit dem Satz: "Schutzhaft- wer muss da vor wem geschützt werden?" Das galt vor allem, als wenige Tage nach der Eröffnung des Lagers die SS das Kommando übernahm. "Es brach ein Schreckensregiment herein, der Tod hatte die Macht über das Lager übernommen", schrieb der Tagelöhner Karl Christoph, KPD-Mitglied aus Garmisch, in seinem handschriftlichen Bericht mit dem Titel "In der Hölle von Dachau". Andere Häftlinge berichteten später detailliert von brutalen Schlägen, von sinnlosen schweren Arbeiten, etwa mit einer Straßenwalze oder in einer Kiesgrube, aber auch von Erschießungen jüdischer Häftlinge - angeblich auf der Flucht.

Und es wurde auch deutlich, dass die Familien der Häftlinge litten, weil der Ernährer eingesperrt war, dass sie von Nachbarn ausgegrenzt wurden. Erschütternd der Brief einer Frau an ihren inhaftierten Mann, in dem sie schreibt, was der Sohn gesagt hatte: Der würde gerne in den Schulferien mit seinem Vater tauschen, damit dieser in der Zeit Geld verdienen kann.

Doch selbst, wenn ein Häftling aus dem Lager entlassen wurde, waren seine Sorgen nicht zu Ende, wie der SPD-Mann und Gewerkschafter Fritz Ecker aus Weiden in der Oberpfalz schrieb: Der Arbeitsplatz war weg, die Familie in Not, täglich Meldung bei der Polizei wurde verlangt. "Der Entlassene hat keine ruhige Stunde mehr. Er ist trotz Freiheit ein unfreier Mensch", so Ecker.

Am Ende der Veranstaltung schlug der bald 94 Jahre alte Max Mannheimer, der Vorsitzende der Lagergemeinschaft Dachau, den Bogen zur Gegenwart, als er das "Vermächtnis der Überlebenden" aus dem Jahr 2009 vorlas: "Die letzten Augenzeugen wenden sich an Deutschland, an alle europäischen Staaten und die internationale Gemeinschaft, die menschliche Gabe der Erinnerung und des Gedenkens auch in der Zukunft zu bewahren und zu würdigen. Wir bitten die jungen Menschen, unseren Kampf gegen die Nazi-Ideologie und für eine gerechte, friedliche und tolerante Welt fortzuführen, eine Welt, in der Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus keinen Platz haben sollen."

© SZ vom 31.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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