Petershausen:Rückkehr aus einer anderen Welt

Petershausen: Fast neun Monate verbrachte Elke Schäl in Pakistan. Trotz eingeschränkter medizinischer Ausstattung brachte sie dort viele Kinder zur Welt.

Fast neun Monate verbrachte Elke Schäl in Pakistan. Trotz eingeschränkter medizinischer Ausstattung brachte sie dort viele Kinder zur Welt.

(Foto: privat)

Die Petershausener Hebamme Elke Schäl arbeitete für Ärzte ohne Grenzen in Pakistan. Angesichts des Elends nimmt sie die Probleme der Wohlstandsgesellschaft leichter. Sie hat aber auch gelernt, dass jeder etwas bewegen kann

Von Anna-Sophia Lang, Petershausen

Elke Schäl hat ein Mantra. Einen Satz, den sie immer wieder sagt. "Ein Einzelner kann nicht die ganze Welt retten, aber jeder kann bei sich selbst anfangen und seinen Teil beitragen." Es ist ziemlich genau ein Jahr her, da stieg sie ins Flugzeug, um eben das zu tun. Das Ziel: Pakistan. Fast neun Monate blieb sie dort, in einem Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen. Elke Schäl ist Hebamme. In Chaman, einer Stadt direkt an der Grenze zu Afghanistan, sollte sie 16 junge, einheimische Kolleginnen unterrichten. Es war eine Zeit, die sie viele Probleme in Deutschland aus einer anderen Perspektive sehen lehrte. "Ich war nie ein Träumer", sagt sie, "aber jetzt erst recht nicht mehr."

Sie sah bitter arme Menschen, die gleichzeitig in der westlichen TV-Werbung sehen, dass andere viel besser leben. "Da liegt für mich der Sprengstoff in dieser Region." Chaman liegt in der Provinz Belutschistan im Südwesten Pakistans, die reich an Gas und Öl ist . Die Belutschen profitieren davon nicht. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, viele können nicht lesen und schreiben. Seit Jahren kämpfen Separatisten für Unabhängigkeit. Unterdrückung, Morde und Entführungen sind an der Tagesordnung, Tausende Menschen gelten als vermisst. Gefunden werden die Täter nie, vermutet werden sie in Geheimdiensten und im Militär. Religiöser Fundamentalismus verbreitet sich. Die EU-Kommission erwägt dennoch, Pakistan als sicheres Herkunftsland einzustufen.

Elke Schäl lacht. Nein. Frei bewegen konnte sie sich in Chaman natürlich nicht. Die meiste Zeit verbrachte sie im Krankenhaus, wo sie auch wohnte. Zwei Mal explodierte ganz nahe eine Bombe. Es ist gerade einmal zwei Wochen her, dass in Syrien ein Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen zerstört wurde. "Ich habe Glück gehabt. Auch mein Krankenhaus hätte ein Ziel sein können." Angst hatte sie dennoch nicht. "Ich bin kein Abenteurer und nicht wagemutig. Vollgepumpt mit Angst kannst du aber da nicht hin gehen. Sonst drehst du wieder um, wenn du den Stacheldraht und die bewaffneten Menschen siehst." Mit der Zeit lernte sie, mit dem Gefühl ständiger Bedrohung umzugehen. Sie wusste ja, dass sie wieder nach Hause kann. Den Pakistanern bleibt nur die Flucht nach Europa. Vor allem junge Männer machen sich auf den Weg. Elke Schäl hat jetzt verstanden, warum. "Eine Frau kommt nicht weit." Sie hat kein Geld, keinen Führerschein und würde ohne männliche Begleitung auffallen.

Es war die Benachteiligung der Frauen, die ihr zu schaffen machte, obwohl ihr Respekt vor den Menschen und ihrer Kultur groß war. Aber manches konnte sie nicht akzeptieren. Dass der Tod eines Mädchens bei der Geburt als weniger schlimm angesehen wird; dass Mädchen keinen Zugang zu Bildung haben; dass Frauen keine Entscheidungen treffen dürfen. Vor jedem medizinischen Eingriff musste Elke Schäl den Ehemann der Frauen fragen. Dabei kommt ohnehin nur ein Bruchteil der Frauen ins Krankenhaus. Die Wege in der Provinz sind weit. So weit, dass es für manche Frau zu spät ist. "Leben und Tod liegen hier nicht weit auseinander. Ich habe mehr sterbende Frauen und fehlgebildete Kinder gesehen, als ich in Deutschland je sehen würde." Eine unterversorgte Welt, die einer überversorgten gegenüber steht. Elke Schäl sagt, sie wünsche sich, dass irgendwann eine Mitte gefunden wird.

Die Geburten waren eine kurze, stille Angelegenheit. "Rauf auf die Liege, Kind raus, runter von der Liege." Die Frauen stellten keine Ansprüche. Schmerzmittel nahm kaum eine. "Sie sind froh, wenn jemand erkennt, wann es gefährlich wird." Elke Schäl gewöhnte sich an, die Frauen zu loben. Nicht nur die Patientinnen, auch ihre Kolleginnen. Lob kennen Frauen in Pakistan überhaupt nicht, sagt sie. "Ich hoffe, dass ich sie stabilisiert und ihnen Selbstbewusstsein gegeben habe." Manchmal kam aber auch sie an ihre Grenzen. "Dann habe ich mich gefragt, was ich hier eigentlich mache." Am schlimmsten war es, wenn sie ein Frühgeborenes zum Sterben zu seiner Mutter legte und wusste, dass es in Deutschland überleben würde. Manchmal überfielen sie Zweifel, wenn sie in den Kreißsaal gerufen wurde. "Was kommt jetzt? Schaffe ich das?" Dann konzentrierte sie sich auf den Moment. Machte einfach weiter. Man muss sich nicht immer selbst in den Vordergrund stellen. Das hat sie von den Menschen in der Region gelernt. "Die Menschen gehen anders mit Tragödien um. Das Individuum und sein Schicksal zählen nicht so sehr." Gott gibt und Gott nimmt. Anfangs war der Umgang der Menschen mit dem Tod eines Angehörigen für sie befremdlich. Wie Mütter reagierten, wenn sie ein totes Kind zur Welt brachten. "Warum weinen sie nicht? Haben sie keine Gefühle?" Irgendwann verstand sie es. "Weil sie es sonst nicht aushalten."

Seit Oktober ist sie wieder daheim. Im November hat sie die Arbeit in der Hebammenpraxis wieder aufgenommen. Nachdem sie aus Pakistan abgereist war, brauchte sie erst einmal eine Pause. Um Abstand zu gewinnen, um ihre Erlebnisse zu verarbeiten. Eine Zeit lang machte sie Urlaub mit ihrem Mann. In Europa. Um sich wieder auf "das Normale" einzustellen. Sie hatte sich überschätzt. Dachte, dass sie schneller in den Alltag zurückkehren könnte. Jetzt ist sie wieder voll da. Sie sitzt in der Praxis, als wäre sie nie weg gewesen. Verändert hat sie sich kaum. "Ein paar Kilo habe ich gelassen." Nur die Armreifen, die an ihrem Handgelenk bei jeder Bewegung klimpern, sind neu. Ein Geschenk der Frauen aus dem Krankenhaus. Der gleiche Mensch ist sie trotzdem nicht. "Natürlich schwelge ich jetzt auch in meinen Luxusproblemen, aber ich schmunzle noch mehr darüber." Sie hält Vorträge für Ärzte ohne Grenzen, macht Infoveranstaltungen. Sie kann sich vorstellen, wieder einen Einsatz für die Organisation mitzumachen. Dann vielleicht nur drei Monate. Aber: Elke Schäl weiß, dass sie etwas verändern kann.

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