Oberlandesgericht:Eine Geburt und viele Fragen

Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht: Die Amper Kliniken AG wehrt sich gegen die Verurteilung zu Schmerzensgeldzahlung von 40 000 Euro an die Eltern eines behinderten Kindes.

Von Andreas Salch

Dachau/München - Es waren dramatische Stunden, die eine 18-Jährige einen Tag vor Heiligabend 2001 im Kreißsaal der Amper Kliniken AG in Dachau verbringen musste. Die Geburt ihrer kleinen Tochter zog sich über 18 Stunden hin, da es zu Komplikationen gekommen war. Das Mädchen wurde schließlich durch eine sogenannte Vakuumextraktion, mit Hilfe einer Saugglocke also, zur Welt gebracht. Nach der Geburt stellte sich heraus, dass der rechte Arm des Kindes verkürzt und teilweise gelähmt war. Tragen die Ärzte Schuld an den Behinderungen des Kindes? Der juristische Streit über diese Frage ist inzwischen beim Oberlandesgericht (OLG) München angelangt.

In erster Instanz hatte die Mutter der heute zwölfjährigen Schülerin, die auf eine Realschule im Landkreis geht, Erfolg. Nach Überzeugung der Richter haben die Ärzte der Amper Kliniken AG Fehler bei der Entbindung gemacht. Sie verurteilten das Krankenhaus und die Ärzte zur Zahlung von 40000 Euro Schmerzensgeld. Außergerichtlich hatte die Klinik den Eltern des Kindes bereits 2002 einen Betrag in Höhe von 25000 Euro zugestanden. Das Urteil des Landgerichts München II aber will die Amper Kliniken AG nicht akzeptieren. Deshalb legte sie gegen die Entscheidung aus erster Instanz beim Oberlandesgericht Berufung ein. Eine Entscheidung in der Sache wird der Senat für Arzthaftungssachen in den nächsten Wochen verkünden.

In der Verhandlung am Donnerstag hörte das Gericht als Sachverständigen Professor Bernd Gerber, Facharzt für Frauenheilkunde von der Universitätsfrauenklinik Rostock. Gerber trat auch schon im ersten Verfahren als Gutachter auf. Seiner Überzeugung nach sei die Geburtsbetreuung der Mutter fehlerhaft gewesen.

Die Ärzte hätten auf wesentliche Risikofaktoren falsch reagiert. Dazu gehöre, dass die damals 18-jährige Mutter stark übergewichtig war und sich der Geburtsvorgang erheblich verzögert habe. Angesichts dieser Situation hätten die Ärzte niemals eine Vakuumextraktion machen dürfen, sondern das Kind per Kaiserschnitt zur Welt bringen müssen.

Weil das Mädchen der 18-Jährigen bei der Geburt 4670 Gramm wog, sei eine Geburt durch Kaiserschnitt angezeigt gewesen, befand der Gutachter von der Unifrauenklinik Rostock. "Ich hätte mich ganz klar für eine Sectio (Kaiserschnitt) entschieden." Immerhin sei es zu einem Geburtsstillstand gekommen. Alle Faktoren hierfür lagen vor, sagte er.

Auch das sogenannte Kritstellern, bei dem ein Druck auf das Gebärmutterdach ausgeübt wird, um die Geburt zu beschleunigen, wäre möglich gewesen - selbst wenn diese Methode heutzutage kritischer gesehen werde, als früher, so Gerber. Zu Komplikationen sei es erst durch die Entscheidung für eine Vakuumextraktion gekommen. Die Anomalien bezüglich der Lage des Kindes im Geburtskanal seien allein durch die Vakuumextraktion herbeigeführt worden. Streitig ist auch, ob die Ärzte die Mutter vor der Durchführung ihrer Maßnahmen auf die damit verbundenen Risiken ausreichend hingewiesen haben. Die Klägerin behauptet nein. Die Richter des 1. OLG-Senats scheinen dies auch so zu sehen.

Am Rande der Verhandlung sagte die Mutter des Mädchens, ihre Tochter leide nicht nur physisch an den Folgen der Armverkürzung. Sie werde deswegen auch von Mitschülern oftmals gehänselt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: