Notfallseelsorge:"Wir haben auch kein Herz aus Stein"

Der Mord in Petershausen hat die Menschen erschüttert. Einsatzkräfte sind bei solchen Tragödien oft hautnah dabei. Aber wer hilft ihnen? Ein Gespräch mit Notfallseelsorger Albert Wenning.

Corinna Hillebrand-Brem

Am Samstagabend hat ein 61-jähriger Mann seine Ex-Frau in Petershausen auf offener Straße erstochen - vor den Augen ihrer neuen Familie. Solche Einsätze sind auch eine große Belastung für alle beteiligten Rettungskräfte. Sie treffen als erstes ein, wenn sich ein Familiendrama abspielt oder sich ein Unfall ereignet. Die Süddeutsche Zeitung sprach mit Diakon Albert Wenning, Fachberater für Seelsorge der Kreisbrandinspektion im Landkreis Dachau. Er informiert darüber, wie Kräfte der Feuerwehr nach besonders belastenden Einsätzen psychologisch betreut werden.

Herr Wenning, wie groß ist die seelische Belastung für die Ersthelfer, wenn sie mit dem Tod eines Menschen konfrontiert werden?

Für manche sind die Einsätze sehr belastend, für andere weniger. Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zum einen von der persönlichen Verfassung, meiner Psyche. Zum anderen kommt es darauf an, ob ich irgendeine Verbindung zu den Verletzten oder Toten herstelle. Das muss überhaupt kein Verwandter sein, sondern da reichen kleine Assoziationen aus. Zum Beispiel eine Ähnlichkeit mit einem Familienmitglied, die Frisur oder welche Kleidung das Opfer trug.

Spielt die Berufserfahrung dabei eine Rolle?

Natürlich macht auch die Erfahrung der Einsatzkräfte viel aus. Manche stecken vieles weg. Aber natürlich kann auch jede erfahrene Einsatzkraft betroffen sein: Weil wir Gott sei Dank auch ein Herz haben und nicht nur einen Stein in unserer Brust.

Welche Hilfe können Sie anbieten?

Nach einem Unglück ist für viele Einsatzkräfte vor allem eines ganz wichtig: Ein Gespräch. Egal mit wem. Voraussetzung dafür ist aber natürlich, sich selbst zunächst einzugestehen: "Das war mir jetzt zu viel." Erst dann kann gemeinsam im Gespräch ein Weg gefunden werden, das Erlebte zu verarbeiten. Es wird aber auch schon präventiv mit den Einsatzkräften gearbeitet. Ihnen muss schon im Vorfeld gesagt werden, dass die psychische Belastung etwas völlig normales ist. Jahrzehntelang wurde das sehr vernachlässigt und verschwiegen. Ich will gar nicht wissen, welche seelischen Narben das hinterlassen hat, für die eigene Person oder für die Angehörigen der Einsatzkräfte.

Hat sich das gebessert?

Auf jeden Fall. So richtig angefangen hat die Seelsorge für Einsatzhelfer eigentlich um das Jahr 1998 herum, mit den Unglücken in Ramstein und Eschede. Jetzt hoffe ich, dass durch die gezielte Hilfe langfristig keine psychischen Belastungen geblieben sind. Und ich hoffe auch, dass die Einsatzkräfte aufgrund der Schulungen und Informationen die Möglichkeit der Verarbeitung gefunden haben.

Wie werden die Rettungskräfte auf solche extremen Einsätze vorbereitet?

In unserem Landkreis ist das Thema seit einigen Jahren schon ein fester Bestandteil in der Ausbildung. Natürlich vergisst man auch vieles davon, das kennt man ja aus der Schule. Aber letztendlich geht es darum, wahrzunehmen, dass die Belastung vorkommen kann und vorkommen darf. Und dass Einsatzkräfte wissen, dass es jemanden gibt, mit dem sie vertraulich darüber reden können.

Welche Angebote gibt es für die Augenzeugen?

Leute, die unmittelbar an einem Unglück beteiligt sind, können sich an die Notfallseelsorge wenden - rund um die Uhr.

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