New Orleans in Altomünster:Wenn der Nussknacker swingt

Pianeure

Jan Luley lässt in atemberaubendem Tempo die Finger über die Tasten fliegen.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Rockhouse im Maierbräu: Die "4 Pianeure" Edwin Kimmler, Jan Luley, Matthias Heiligensetzer und Christian Christl legen einen fulminanten Auftritt hin und verzücken das Publikum

Von Dorothea Friedrich, Altomünster

Auf der "Sunny side of the street", der Sonnenseite der Straße, steht das Rockhouse. Drinnen schlürft man genüsslich einen "Hurricane Cocktail" und lauscht überrascht einer Boogie-Adaption von Tschaikowskis "Tanz der Zinnsoldaten" aus dessen Nussknacker-Suite. Die zumindest gefühlte Sonnenseite der Straße war am Samstagabend der Altomünsterer Marktplatz. Das Rockhouse entpuppte sich als der Maierbräu. Dort hatten die "4 Pianeure" einen ihrer seltenen und daher bei ihren Fans umso begehrteren Auftritte mit ihrem Progamm "Spectaculum Pianosum". Edwin Kimmler, Jan Luley, Matthias Heiligensetzer und Christian Christl haben sich dem New Orleans-Jazz, dem Blues, dem Boogie und dem Swing verschrieben. Nur etwa zehn bis zwölf gemeinsame Auftritte haben die sonst als Solisten oder in anderen Formationen spielenden Musiker jährlich. Den Grund dafür nennt Bandleader Christl im Gespräch mit der SZ Dachau: "Wir wollen, dass unsere Musik frisch bleibt. Das geht nur, wenn wir uns nicht selbst verheizen. Deshalb verzichten wir auch auf viele Proben, sprechen uns aber natürlich ab, wer was mit wem spielt. Improvisation ist uns wichtig."

Ganz in Ray-Charles-Manier

Das weckt Erwartungen auf ein Musik-Abenteuer. Die Erwartungen sollten nicht enttäuscht werden. Statt Smoking und Fliege, der Uniform steifer Konzertpianisten, setzen die 4 Pianeure mit Schiebermütze respektive Bowler-Hut und Hosenträger schon vor den ersten Tönen an ihren beiden Klavieren unübersehbare Zeichen: Hier ist Spaß für Musiker und Publikum angesagt. Und so mutiert der sonst so gediegene Maierbräu binnen weniger Minuten zum Rockhouse, als Christian Christl zur Einstimmung ganz in Ray-Charles-Manier den gleichnamigen Hit singt und spielt. Darauf haben die Zuhörer offensichtlich gewartet. Einige nicken zustimmend mit Kennermiene und -blick. Andere fallen mit geschlossenen Augen in einen Zustand milder Verzückung, wieder andere hält es schon nicht mehr auf den Stühlen. Es wird mitgeklatscht und -gesungen.

New Orleans-Jazzszene

Als Matthias Heiligensetzer seinen Nussknacker-Boogie in die Tasten hämmert, tobt der Saal und ist sich einig: Diesen Klassiker will man nie wieder anders hören und schon gar nicht mit Tütü-bewaffneten Ballettelevinnen sehen. "Was soll man danach noch spielen?", fragt Jan Luley. Das ist wohl eher rhetorisch gemeint, denn sein "Hurricane Boogie" ist eine mitreißende Reverenz an die New Orleans-Jazzszene, den berühmten Pat O'Briens Club und dessen berüchtigten Cocktail, der seinem Namen Hurricane alle Ehre macht. Das weiß Luley wohl aus eigener Erfahrung und schwärmt - dem Veranstaltungsort angemessen - vom hauseigenen Bierbrand. Ihre Geschichten erzählen die Musiker übrigens mit der gleichen Leichtigkeit, mit der sie ihre Hände in atemberaubendem Tempo über die Tasten fliegen lassen. Edwin Kimmlers "Monkey Man" wird zur rasanten Bühnenshow ohne Bühne und zu einer Huldigung an den kürzlich verstorbenen Fats Domino: "Ohne Fats Domino kein jamaikanischer Ska und ohne Ska kein Reggae und kein Bob Marley", sagt er grinsend in gepflegtem Niederbayerisch - und bearbeitet seine Mundharmonika so groovig, dass Bob Dylan möglicherweise endlich seine Never ending-Tour stoppen würde.

Spaß, gepaart mit Können: Das ist gewissermaßen der Markenkern der 4 Pianeure. Und das ist ansteckend. So inspirierend wie Sängerin Scarlett Andrews. Ganz tief taucht sie mit ihrer großartigen Stimme in die Welt des Blues ein. Aus dieser entführen die 4 Pianeure sogleich in ein ganz anderes Universum. Schließlich ist der 11.11. nicht nur Martinstag, sondern für die Jecken in aller Welt der Beginn der Karnevalssaison. Was liegt also näher, als den Mardi Gras, den Faschingsdienstag, aus der Hauptstadt des Jazz nach Altomünster zu importieren? Das Publikum dreht auf, die Musiker auch. "Second line" heißt das Zauberwort. Nicht Eingeweihte lernen: Gegen den Rhythmus der Musiker anzuklatschen und zu tanzen, lässt auch ohne bunte Kostüme und Blaskapellen einen Hauch von New Orleans und ungebremster Lebensfreude durch den Saal wehen. Das beflügelt die Pianisten sichtbar und vor allem hörbar. Mit geradezu akrobatischer Geschwindigkeit spielen sie zu zweit, zu dritt, zu viert, mal beidhändig, mal einhändig und machen dem Programmnamen "Spectalum Pianosum" alle Ehre. Gut, dass sie sich "die Rein- und Rausrennerei sparen" und "nahtlos zu den Zugaben übergehen" wie Christl ankündigt. Denn die sind unzweifelhaft der Höhepunkt des Abends. Die Pianeure steigern noch einmal ihr Tempo und liefern sich eine Steilvorlage nach der anderen. Wäre das Klavier ein Fußball, könnte so mancher Kickerstar hier eine Lehrstunde in Sachen gekonnter, unverkrampfter Übergabe erleben. Nur dass es sich in diesem Fall nicht um einen Fußball, sondern um ein Trumm von einem Instrument handelt, über das die Hände der Pianisten mit ungebremster Spielfreude jagen. Sie beschließen nach drei Stunden ihr heftig bejubeltes Konzert mit einem eigens verfassten "Maierbräu-Boogie".

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