Musiktheater:Prickelnd wie ein Glas Veuve

Musiktheater: Absurd und komisch zugleich bieten Marina Granchette und Mona Weiblen ihr Musical mit Chansons der 1930er Jahre dar.

Absurd und komisch zugleich bieten Marina Granchette und Mona Weiblen ihr Musical mit Chansons der 1930er Jahre dar.

(Foto: oh)

Die szenische Chansonrevue "Alles auf Null" begeistert die Haimhausener

Von Dorothea Friedrich, Haimhausen

"Bitte nicht auf den Pianisten schießen", steht unübersehbar am frisch gestimmten Klavier in der Kulturkreiskneipe Haimhausen. Die Warnung ist völlig überflüssig, denn was die Sängerinnen und Schauspielerinnen Mona Maria Weiblen und Marina Granchette sowie Pianist Martin Steinlein am Samstagabend in der Kulturkreiskneipe Haimhausen abliefern, bringt die Zuschauer in Turbogeschwindigkeit von Null auf Hundert - und es gibt eineinhalb amüsante Stunden lang kein Zurück.

"Alles auf Null - eine szenische Chansonrevue" steht auf dem Programm des rührigen Haimhauser Kulturkreises. Das verspricht Nostalgie pur à la dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts im flackernden Kneipenkerzenlicht - entpuppt sich aber glücklicherweise als eine frisch-fröhlich-freche und zudem gekonnte Achterbahn der Gefühle. Mona Maria Weiblen und Marina Granchette haben sich damit einen Traum erfüllt. Sie haben die Chansonrevue geschrieben und choreografiert.

"Wir haben schon während unseres Studiums davon geträumt, zusammen einen Chansonabend zu machen", sagte Weiblen der SZ Dachau. Und dass "das alles ganz schnell ging, weil wir uns fast blind verstehen". Das mag man angesichts dieser geglückten und beglückenden Mischung aus Klassikern des Genres, neuen Liedern und einem fein gesponnenen Handlungsfaden kaum glauben. "Alles auf Null" beispielsweise ist ein Song der Hamburger Liedermacherin Anna Depenbusch. Von ihr stammt auch das musikalische Denkmal für ihren kurzzeitigen Lover "Benjamin". Dem wild durch die Gegend liebenden Herrn haben Weiblen und Granchette den unverwüstlichen "Waldemar" an die Seite gestellt. Dieses musikalische Geschöpf von Bruno Balz ist ein kleines, dickes, dunkelhaariges Mannsbild, Geburtsjahr 1940. Was heute als etwas aus der Mode gekommene Anmache durchgeht, war seinerzeit ziemlich subversiv. Denn Waldemar, das Objekt der von Zarah Leander besungenen Begierde entsprach so gar nicht dem Naziwunschbild eines Mannes.

Ein bisschen subversiv ist das Trio auf der Bühne auch. Mit sichtlichem Spaß, mit tollen Stimmen respektive Spiel und einer ausgefeilten Choreografie stürzen sie locker ein paar Chanson-Ikonen vom Sockel. "Kann denn Liebe Sünde sein" etwa wird zur hinreißenden Persiflage auf Leander-Pathos und -Gestik. Vom Quickie in "Zimmer 439", zu Edith Piafs "Je ne regrette rien" geht es zum "Beruf Dame", zur "geschlechtlich eindeutig lesbischen Love Story" und schließlich mit Helge Schneider "Alleine in die Bar". Derweil spielt "Madame Clicquot" ungerührt im Kasino Poker, Black Jack und Roulette, während die Herren zu spanischen Gitarren kubanische Zigarren paffen. Und die "Rinnsteinprinzessin" träumt ätherisch schön von echter statt von käuflicher Liebe.

Aus all diesen und noch mehr Songs rund um Liebe, Rausch und den Rock 'n' Roll des Lebens haben die Macherinnen dieser Show fast schon absurdes Theater mit umwerfend komischen Szenen, mit fatalistisch-melancholischen Elementen und ohne großes Klamottengedöns gezaubert - sieht man von der extraordinären Schuhkollektion ab, über die Weiblen und Granchette verfügen und die sie nur zu gerne vorführen. Das löst bisweilen ebenso Schnappatmung aus wie das tänzerische, sängerische und pianistische Können auf der kleinen Kulturkreisbühne. Requisiten setzt das Trio aus gutem Grund nur sparsam ein. Schließlich wirkt Kurt Weills Mackie Messer auch als Pianosolo bedrohlich genug. Und wer braucht schon mehr als seine Stimme für ein ebenso verblüffendes wie stimmiges Arrangement von Hildegard Knefs "Für mich soll's rote Rosen regnen" mit Edith Piafs "La vie en rose"? Da fällt es schwer, wieder auf Null zu kommen. Denn diese so locker-flockig daher kommende Chansonrevue ist schon etwas sehr Besonderes. Lust und Leidenschaft für Musik, Tanz und Theater, Kreativität und Professionalität sind hier eine geglückte und beglückende Verbindung eingegangen. Die ist prickelnd wie ein Glas Veuve Clicquot und abgründig tief wie ein Rinnstein.

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