Mord:Erschüttertes Erdweg

Nach dem Mord an der 76-jährigen Ursula Schnur zeigen sich die Bürger in ersten Gesprächen ratlos und verängstigt. Vor allem weil der mutmaßliche Täter, ein 26-jähriger Drogenabhängiger, in der Gemeinde lebt. Man kennt sich

Von Robert Stocker, Erdweg

Erdweg ist eigentlich ein beschaulicher Ort. Durch die Gemeinde im Nordwesten des Landkreises Dachau führt die Staatsstraße 2047 nach Aichach, die das Ortszentrum in zwei Teile zerschneidet. Knapp 6000 Einwohner hat die Gemeinde, eine romanische Basilika von überregionaler Bedeutung auf der Spitze des Petersbergs und eine Katholische Landvolkshochschule am Fuße des Bergs, die regelmäßig kulturelle Veranstaltungen bietet. Seit Monaten gibt es zwei wichtige Themen im Ort: Den Ausbau der Bahnlinie von Dachau nach Altomünster, die von Mitte Dezember an die Ortschaft zweigleisig passiert, weil sich die S-Bahnen dort künftig begegnen werden. Und die Sanierung des historischen Wirtshauses, das sich in ein Bürgerzentrum verwandeln soll. Ein Bürgerverein hat das Projekt in die Hand genommen. Einwohner packen mit an.

Seit ein paar Tagen herrscht in Erdweg Verunsicherung. Die Gefühlswelt vieler Bewohner hat sich verändert. Einsatzfahrzeuge der Kriminalpolizei rückten an, ein Polizeihubschrauber kreiste über dem Ort. Der Kaminkehrer fand am vergangenen Freitag die Leiche der 76-jährigen Ursula Schnur in deren Haus im Ortsteil Großberghofen. Eine Untersuchung im rechtsmedizinischen Institut München ergab, dass die Frau einem Gewaltverbrechen zum Opfer fiel. Schon zwei Tage später meldeten die Fahnder der Kripo Fürstenfeldbruck einen ersten Ermittlungserfolg: Ein 26-jähriger Arbeitsloser wurde am Sonntagnachmittag in seiner Erdweger Wohnung festgenommen. Er gab zu, die EC-Karte der Frau gestohlen und damit mehrere tausend Euro an Geldautomaten verschiedener Münchner Banken abgehoben zu haben. Dabei wurde er von Videokameras aufgezeichnet. Trotz seines teilweise vermummten Gesichts erkannte ihn ein Kripobeamter, weil der 26-Jährige schon vorher polizeibekannt war. Der junge Arbeitslose ist ein drogenabhängiger Serienstraftäter, der sich Ende Oktober wegen Drogenverkaufs vor dem Amtsgericht Dachau verantworten musste. Das hat die Polizei inzwischen bestätigt. Damals kam er mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten zur Bewährung davon. Amtsrichter Tobias Bauer hielt dem Angeklagten sein Geständnis zugute und äußerte sich wohlwollend über ihn: "Wenn sie die Drogen in den Griff bekommen, ist das Gericht optimistisch, dass Sie die Kurve kriegen", sagte er. Heute ist der 26-Jährige dringend verdächtig, die 76-jährige Ursula Schnur in ihrem Haus in der Waldstraße getötet zu haben. Der Ermittlungsrichter erließ Haftbefehl gegen ihn. Der 26-Jährige sitzt in U-Haft wegen Mordverdachts.

Die meisten Erdweger kannten die getötete Frau, die Mitglied in einigen Vereinen war und sich auch sozial engagierte. 23 Jahre lang arbeitete sie bis zu ihrer Pensionierung 1997 in der Erdweger Gemeindeverwaltung, wo sie erste Anlaufstelle für die Anliegen der Bürger war. Viele kennen aber auch den jungen Mann, der jetzt unter dem dringenden Tatverdacht steht, sozusagen eine Nachbarin getötet zu haben. Womöglich haben sich auch der 26-Jährige und die 76-jährige Ursula Schnur gekannt. Zumindest könnten sie sich ein paar Mal begegnet sein. Der Inhaber der Döner-Bude "Sahin Imbiss", die im Ortszentrum an der Staatsstraße 2047 vor dem historischen Wirtshaus steht, berichtet, dass beide bei ihm gelegentlich einkauften. "Die Frau und der junge Mann waren Kunden von mir. Er hatte immer rote Augen und war meistens nicht so gut drauf." Besonders ältere Kunden redeten über die Tat, viele Leute seien verunsichert. Dann schiebt der Döner-Verkäufer noch nach: "Ich bin jetzt seit 20 Jahren hier, aber Erdweg hat sich verändert. Von einem friedlichen Ort zu Texas." Oft sehe er Zwölfjährige durch die Straßen ziehen, mit einer Zigarette in der Hand.

Mord: Ein Ort unter Schock: Auf der Treppe zum Haus von Ursula Schnur in Großberghofen liegen Blumen und Kerzen.

Ein Ort unter Schock: Auf der Treppe zum Haus von Ursula Schnur in Großberghofen liegen Blumen und Kerzen.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Auch in dem Einkaufscenter am Rande des Gewerbegebiets wird deutlich, dass die Bewohner von dem Verbrechen tief getroffen sind. "Das Schlimme daran ist, dass man den jungen Mann kennt, der jetzt unter Mordverdacht steht", sagt eine Kassiererin des Einkaufscenters. Er gilt als problematisch und lebte in einer provisorischen Unterkunft. "Man glaubt immer, so was passiert nicht bei uns, sondern immer irgendwo weit weg. Jetzt sind viele doch geschockt", schildert die Frau die Gefühlslage im Ort.

Vor einiger Zeit wurde mehrere Male in Häuser des Ortsteils Großberghofen eingebrochen. "Viele haben erst geglaubt, dass möglicherweise Einbrecher die Tat begangen haben", sagt ein Spaziergänger, der mit seinem Hund drei Straßen vom Tatort entfernt Gassi geht. Einige Hausbesitzer haben daraufhin Videokameras installiert. "Schreiben Sie, dass sie auch Selbstschussanlagen angebracht haben. Vielleicht schreckt das Ganoven ab. Aber wer weiß, ob die auch Zeitung lesen."

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