Mobbing im Internet:Hetzjagd aus Rache

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Vergewaltigung, Stalking, religiöser Fundamentalismus: Mit solchen Anschuldigungensah sich ein Ehepaar aus dem Landkreis Dachau plötzlich im Internet konfrontiert. Jetzt wurde der Urheber vom Amtsgericht verurteilt.

Petra Schafflik

Die vermeintliche Anonymität des Internet schafft keinen rechtsfreien Raum. Das musste jetzt ein 27-Jähriger erkennen, der laut Anklage der Staatsanwaltschaft ein Ehepaar im Netz übel verleumdet haben soll. Für diesen "Anstoß zu einer privaten Hetzjagd auf Unschuldige", so der Staatsanwalt in seinem Plädoyer vor dem Dachauer Amtsgericht, wurde der Angeklagte zu einer einjährigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. An die Geschädigten muss er Schmerzensgeld und Schadenersatz von je 1000 Euro bezahlen. Eine engmaschige Indizienkette überzeugte das Amtsgericht von der Schuld des Mannes, der Angeklagte selbst beteuerte bis zuletzt seine Unschuld.

Ein 27-Jähriger beleidigte ein Ehepaar übel im Internet. Dafür wurde er jetzt zur einer Bewährungsstrafe verurteilt. (Foto: dpa)

Vergewaltigung, Stalking, politische Gewalt, religiöser Fundamentalismus: Die Anschuldigungen sind monströs, mit denen ein türkisches Ehepaar aus dem Landkreis auf verschiedenen Internetseiten überzogen wurde. In ähnlich formulierten Texten, die auf verschiedenen "Pranger-Seiten" erschienen sind, fanden sich neben den ausführlich geschilderten Vorwürfen persönliche Details der Geschädigten, eine Art Steckbrief mit Adresse, Kennzeichen der Fahrzeuge und sogar Fotos. Das Ehepaar war somit für jeden Leser sofort zu identifizieren. "Hier geht es nicht um übliche Beleidigungen", sagte der Staatsanwalt. Die Schmähungen im Internet, wo sie "die ganze Welt zu jeder Zeit" einsehen könne, seien nicht zu vergleichen mit einem im Affekt gezeigten "Stinkefinger" oder unbedacht geäußerten Schimpfwörtern, mit denen sich Gerichte tagtäglich befassen. Vielmehr hätte der Angeklagte "eine private Hetzjagd auf unschuldige Leute" anstoßen wollen. "Eine Form der Selbstjustiz", so der Staatsanwalt.

Der junge Mann stritt die Vorwürfe ab. Auf seinem Computer hat ein Experte zwar Hinweise gefunden, dass er die fraglichen Internet-Seiten häufig aufgerufen hat. Ob er aber nur gelesen oder dort auch Texte eingestellt hat, ließ sich technisch nicht nachweisen. Tatsächlich belege die Expertise des Sachverständigen nur, "dass er die Seiten gekannt hat, mehr gibt das Gutachten nicht her", bestätigte Amtsrichterin Petra Nolte. Dennoch war sie von der Schuld des jungen Mannes überzeugt - aufgrund der Indizienkette.

Diese wird nur verständlich aus der komplexen Vorgeschichte, die das Gericht bereits bei der Beweisaufnahme am ersten Verhandlungstag vor drei Wochen aufgerollt hatte: Die Mutter des Angeklagten unterhielt mit dem geschädigten Ehemann eine Liebesbeziehung, zeigte ihn dann wegen Vergewaltigung an. Doch das Strafverfahren gegen den vermeintlichen Vergewaltiger endete im Februar 2010 mit Freispruch. Genau aus diesem Prozess tauchten Details samt Aktenzeichen in den Schmäh-Texten im Internet auf, die nach Überzeugung der Anklage der 27-Jährige verfasst haben soll.

Dieses "Insiderwissen" schränke den Täterkreis sehr eng ein, so der Staatsanwalt. Der Mutter selbst fehlten allerdings die notwendigen Deutsch- und Computerkenntnisse. "Dann bleibt niemand anders übrig." Der 27-Jährige habe die Internetpassagen wohl aus Rache verfasst, weil er den Freispruch im Vergewaltigungsverfahren nicht akzeptieren wollte, sagte der Staatsanwalt. Amtsrichterin Nolte sah das genauso: Sie verurteilte den Angeklagten zu einer Haftstrafe von einem Jahr, die zur Bewährung ausgesetzt wird.

© SZ vom 02.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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