Mitten in Karlsfeld:Von wegen Lebensqualität

Moderne Sklaverei auf der Großbaustelle der Neuen Mitte: Der Fall löst allgemeines Entsetzen aus. Und eine gewisse Ratlosigkeit

Von Gregor Schiegl

Die PR-Fachleute haben sich einen schönen neuen Namen für Karlsfelds Ortszentrum Neue Mitte ausgedacht: Lebenswert Karlsfeld. "Unsere Philosophie stellt die Lebensqualität der Menschen in den Vordergrund", lautet die Werbebotschaft. An dem urbanen Wohntraum arbeiten derzeit unzählige Arbeiter im Auftrag einer Vielzahl von Firmen. Leider war an dem Großprojekt auch ein Subunternehmer beteiligt, den die Lebensqualität der Menschen offenbar einen feuchten Dreck interessiert. Die rumänischen Arbeiter, die er mit falschen Versprechungen angelockt hat, berichten von Hungerlöhnen, von 14 Stunden-Arbeitstagen. Einer bekam für 250 Stunden schwerer Arbeit gerade Mal 170 Euro. Als die Rumänen den Zoll einschalteten, flogen sie von der Baustelle. Jetzt werden sie von der Tafel versorgt. Und alle, die sich auf Lebenswert Karlsfeld freuen, packt das kalte Grausen.

"Wenn diese Thematik so stimmt, ist das absolut nicht zu tolerieren", sagt Karlsfelds Bürgermeister Stefan Kolbe. "Ich persönlich missbillige das zutiefst." Als Kommune stehe Karlsfeld zur Tariftreue, "das erwarten wir auch von der Privatwirtschaft." Aaron Gottardi, der die Öffentlichkeitsarbeit für die Investoren macht, zeigt sich erschüttert: "Wenn die Vorwürfe zutreffen, ist das absolut zu missbilligen." Und die Konsequenzen? Die HI Wohnbau unterhalte keinerlei Geschäftsbeziehungen zu der fraglichen Subunternehmer-Firma. "Wir vergeben nur Aufträge an solide Unternehmen." Und die "solide Firma", die den offenbar höchst unsoliden Subunternehmer beauftragt hat? "Wir sind im Gespräch." Mehr will er nicht dazu sagen. Schadensbegrenzung. Das gute Image.

Nach solchen Fällen taucht immer die Frage auf: Hätte man das verhindern können? Und wenn ja, wie? Das Landratsamt kontrolliert regelmäßig die Baustellen im Landkreis. Aber dann geht es um die Einhaltung der Baunormen, um Arbeitssicherheit, ob alle ihren Helm tragen, weiter reichen die Befugnisse nicht. "Wenn unsere Leute zufällig etwas von einem arbeitsrechtlichen Verstoß mitbekommen, melden sie das den entsprechenden Behörden", sagt Landrat Stefan Löwl. Der kolportierte Fall ist in seinen Augen "hochkriminell". "Ich bin entsetzt, dass es immer wieder Menschen gibt, die anderen ihren gerechten Lohn entziehen."

Bei privatwirtschaftlichen Bauprojekten wie der Neuen Mitte haben die Kommunen aber kaum Möglichkeiten, Missbrauch vorzubeugen. Selbst bei öffentlichen Aufträgen sieht Löwl ein wachsendes Problem: Die Ausschreibungen setzen die Firmen unter enormen Kostendruck. Viele können nur im Wettbewerb bleiben, wenn sie auf die Dienste dubioser Billigheimer zurückgreifen. Auf der Strecke bleiben Menschen, die hart arbeiten, um ihre Familien zu ernähren. Es wird Zeit, die Regeln zu ändern.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: