Mitten in Erdweg:Morgendliche Spekulationen

Politikverdrossen? Nicht die Erdweger. Da entbrennen schon auf kurzen Busfahrten Debatten um die drei Bürgermeisterkandidaten - mit überraschender Schlussfolgerung

Von Benjamin Emonts

Da heißt es immer, die Leute seien politikverdrossen. Also desinteressiert bis aggressiv ablehnend. Wer das Gegenteil erleben will, sollte mit dem Linienbus morgens mal über das Hinterland tuckern. In der Gemeinde Erdweg, wo ein spannender Dreikampf um den Thron des neuen Bürgermeisters entbrannt ist, brodelt es nur so vor Gerüchten und Spekulationen. Nicht nur Stammtische in urigen Wirtshäusern, auch öffentliche Verkehrsmittel werden kurzerhand zu Studios für Polit-Talkshows. Dabei dreht sich alles um die Frage: Wer wird denn nun der Neue?

Zum Einstieg also eine kleine Vorstellungsrunde, wie in Talk-Shows so üblich. Christian Blatt (CSU), 33, ist der aufstrebende, junge Abteilungsleiter im Erdinger Landratsamt, der seit Monaten den leider verstorbenen Bürgermeister Georg Osterauer beachtlich vertritt. Rolf Blaas, Freie Wähler Erdweg, ein Privatier und Ingenieur aus der Automobilbranche, interessiert sich ungemein für Astrophysik und ist überzeugt, seine fehlende kommunalpolitische Erfahrung durch berufliche Kompetenz zu kompensieren. Joseph Ndogmo, parteiloser Akademischer Oberrat und gebürtiger Kameruner, zog nach nur zwei Jahren in Erdweg in den Gemeinderat ein und könnte Bayerns erster Bürgermeister aus Afrika werden.

Ein Fahrgast, vielleicht Ende 50, beginnt also die Debatte: "Ein Schwarzer will in Erdweg Bürgermeister werden. Ich glaube, die wollen einen Schwarzen." Er findet, die Zeit ist reif. Morgens begegne er oft Ndogmos Frau und Kindern: "Die winken mir immer ganz nett."

Am Nebenplatz poltert eine Frau: "Na, des glab i ned." Überall seien doch jetzt die Jungen an der Macht, der Hartmann in Dachau, der Reischl in Hebertshausen, der Trinkl in Odelzhausen. "Da Blatt wird's", sagt die Frau. "Die andern kenn i ned amoi." Als in Schwabhausen ein Schwarzer einsteigt, spricht einer das Schlusswort: "Da schau her, schon wieder ein Bürgermeisterkandidat."

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