Mitten in Dachau:Nach der Wahl ist vor der Wahl

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In Dachau scheinen die Kalender aus dem Takt gekommen zu sein. Am Ortseingang wird man von einer großen Werbetafel begrüßt, auf der verblichene und zerfetzte Plakate um die Stimmen zur Bundestagswahl werben. Vielleicht will die Stadt für den Ab- und erneuten Aufbau sparen

Von Walter Gierlich

Den Bayern wird ja viel nachgesagt, etwa dass sie sehr ungern ihre angestammten Lande verlassen, wie der Geschichtsschreiber Aventinus 1522 mitteilte. Er schrieb damals über seine Landsleute: "Pleibt gern daheim, raist nit vast auss in frembde lant ..." Nun mag das vor 500 Jahren seine Richtigkeit gehabt haben, doch heute stimmt das nicht mehr ganz. Man muss nur einmal im Sommer nach Oberitalien an den Gardasee fahren. Nun ja, andererseits ist dort ja kein so arg "frembdes lant", man kann sich beinahe wie am Starnberger See fühlen.

Nachgesagt wird dem Bayern zudem, dass er an Althergebrachtem festhält. Das lässt sich trotz Aventinus' kleinen Irrtums leicht belegen: Seit mehr als 500 Jahren gilt das Reinheitsgebot für Bier, seit 150 Jahren wird von Traditionalisten alljährlich des Todes Ludwigs II. nahezu inbrünstig gedacht, und seit 60 Jahren wählen die Bewohner des Landes zwischen Alpen und Frankenwald mehrheitlich dieselbe Partei, auch wenn diese zuletzt einen schmerzlichen Absturz um mehr als zehn Prozent hinnehmen musste.

Als die CSU noch nicht endgültig zur immer regierenden Staatspartei geworden war, sagte der damalige Bundeskanzler und SPD-Vorsitzende Willy Brandt, dass in Bayern die Uhren anders gingen - nämlich deutlich langsamer. Ein Spruch, der ihm hierzulande recht übel genommen wurde. Es ist aber so, dass nicht nur die Zeitanzeigen manchmal nicht stimmen. Im altbayerischen Dachau scheinen auch die Kalender aus dem Takt gekommen zu sein. Das merkt jeder, der beispielsweise auf der B 304 von Karlsfeld in die Kreisstadt kommt. Am Ortseingang wird man von einer großen Werbetafel begrüßt, auf der verblichene und zerfetzte Plakate um die Stimmen zur Bundestagswahl werben. Die ist jetzt fast vier Wochen her. Aber vielleicht will die Stadt ja nur am Ab- und erneuten Aufbau sparen und lässt deshalb die Plakatwand stehen. Schließlich ist ja bald wieder Wahl - im September 2018 für den Landtag.

© SZ vom 20.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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