Mitten in Dachau:Kostspieliger Klassiker

Ein Autofahrer zeigt Polizeibeamten den Stinkefinger. Das kommt ihn nun vor Gericht teuer zu stehen

Von Benjamin Emonts

Glaubt man dem amerikanischen Historiker Anthony Corbeill, so war der Stinkefinger bereits viele Jahrhunderte vor Stefan Effenberg eine beliebte Geste der Verachtung. Im alten Rom, so schreibt Corbeill, symbolisierte die geschlossene Faust mit ausgestrecktem Mittelfinger einen erigierten Phallus als Androhung einer sexuellen Handlung. Diese historische Bedeutung ist heute nur noch wenigen Menschen bekannt. Vielmehr gilt der Stinkefinger als Ausdruck einer nonverbalen Abneigung und als Ablassventil für sich bahnbrechende Wut, die einen zuweilen überkommt.

Über die Jahrhunderte hat sich das Zeichen in unserem Gestus derart etabliert, dass es zu kleineren Schulhof-Streitigkeiten fast schon mit dazu gehört. Die als obszön geltende Geste wird selbst von Personen des öffentlichen Lebens wie selbstverständlich verwendet. Im Gedächtnis geblieben sind etwa die Bilder von der Fußball-Weltmeisterschaft 1994, als Stefan Effenberg einem Millionenpublikum seinen Mittelfinger präsentierte. Und dass man den Stinkefinger inzwischen auch über Nachrichtendienste wie Whats-App verschicken kann, sagt eigentlich alles.

Von der Justiz wird das Zeichen strafrechtlich als Beleidigung verfolgt. Einem 58-jährigen Mann ist dies nun teuer zu stehen gekommen. Nachdem er bei einer Autofahrt in Dachau Polizeibeamten seinen Mittelfinger gezeigt hatte, musste er sich am Dienstag vor dem Dachauer Amtsgericht verantworten. Damals, so schilderten die Polizisten, war es beinahe zu einer Kollision gekommen. Als die Beamten mit ihrem Wagen den 58-Jährigen hupend überholten, streckte der Mann seinen Stinkefinger - den Blick stets nach vorne gerichtet - für mehrere Sekunden zum Seitenfenster hinaus. Die Beamten hielten den Pkw des 58-Jährigen daraufhin an und warteten auf eine Entschuldigung, die der Mann partout nicht leisten wollte. Ein Polizist erstattete deshalb Strafanzeige. Die Rechnung erhielt der Mann nun in Höhe von 4200 Euro. Amtsrichter Christian Calame bezeichnete die Tat als "Klassiker der Beleidigung im Straßenverkehr". Die Androhung sexueller Handlungen - wie man es im antiken Rom noch erwartet hätte - legte der Richter dem Angeklagten nicht zur Last.

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