Mitten in Dachau:Freibier für den Schluckspecht

Die Martin-Huber-Treppe in Dachau ist ein Refugium für hungrige, und manchmal auch durstige Tiere.

Von Gregor Schiegl

Wildschweine und Füchse flanieren über die Straßen, Marder machen es sich unter der Motorhaube gemütlich, und Taubenkolonien kacken pointilistische Außenseiterkunst auf Hochglanzlimousinen. Die Wildnis hat längst Einzug in die Städte gehalten, und das gilt auch für Dachau. Ein besonderes Refugium für Tiere gibt es an der Martin-Huber-Treppe. Fürsorgliche Menschen streuen hier Körner und Müsli, ab und an deponieren sie Nüsse oder einen Apfel, damit sich Eichhörnchen und Vögel daran laben, während in sicherem Abstand die Anliegerkatzen mit einem zweiten Frühstück aus der Dose bis zur Kampfunfähigkeit gemästet werden. Paradiesische Zustände könnte man das nennen oder auch spätrömische Dekadenz, je nachdem.

Man weiß ja, was die Zivilisation anrichtet: Dem Müßiggang folgen allgemeine Verweichlichung, Fettleibigkeit und Diabetes. In München blieb ein wohlgenährtes Eichhörnchen vor gar nicht allzu langer Zeit im Loch eines Kanaldeckels stecken und konnte nur mit der Beigabe von Olivenöl aus seiner prekären Lage befreit werden. Auch in Dachau zeigen sich bedenkliche Entwicklungen. Am Sonntag hatte doch tatsächlich jemand eine Burger-Schachtel auf der Gartenmauer abgestellt und daneben eine halb volle Flasche Bier. Alkohol im Tierreich ist nicht ungefährlich. In Skandinavien randalieren jeden Herbst besoffene Elche, weil sie ihren Wiederkäuermagen kiloweise mit nachgärenden Äpfeln vollstopfen. Durch den Vollrausch schieben sie gewaltigen Kohldampf und dringen in Altersheime und Krankenhäuser ein, weil sie wissen, dass die Bewohner immer eine Mahlzeit für sie übrig haben.

In Dachau wurde noch kein derartiger Vorfall gemeldet, vermutlich mangels Elchen. In unseren Breiten ist es vor allem die schleimige Sippschaft der Gastropoden, die dem Hopfen zuspricht und nicht selten in solchem Übermaß, dass sie darin ertrinkt. Bierfallen sind bei Gärtnern sehr beliebt, allerdings nicht im Februar, da ruhen die Schnecken noch als Eier gut gekühlt im Boden. Das Dachauer Freibier war trotzdem nach einem Tag weg. Aus dem Reich der Vögel kommen nur drei Arten in Frage: der Schluckspecht, die Schnapsdrossel oder der häufiger anzutreffende Gemeine Pfandschnorrer.

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