Mitten in Dachau:Das doppelte Früchtchen

Wunder der Zuchtkunst: Im Baumarkt gibt es jetzt die Tomtato, oberirdisch Tomate, unterirdisch Kartoffel

Von BERTHOLD NEFF

Wer schon einige Zeit auf dieser Welt ist, weiß aus Erfahrung, dass so gut wie alles zwei Seiten hat und schließlich auch ein Ende, nur die Wurst hat deren zwei. Das wurde einem neulich bei der Lektüre des bunten Prospekts eines Gartencenters wieder bewusst. Zu sehen ist darauf ein Mann in Gärtnerkluft, der in seiner linken Hand vier erdige Kartoffeln und in der rechten zwei Rispen Cocktailtomaten hält - von ein und derselben Pflanze, wohlgemerkt. Der Prospekt preist die "unglaubliche Innovation im Gemüseanbau" im 2-Liter-Topf für 9,99 statt bisher 12,29 Euro an.

Das Wunder, dass die Tomtato genannte Pflanze unter der Erde Kartoffeln produziert und über der Erde Tomaten, kommt "natürlich ohne Genmanipulation" zustande und basiert lediglich auf Veredelung. Erste Versuche damit hat man schon vor 30 Jahren in deutschen Max-Planck-Instituten gemacht, allerdings verweigerte das damals entwickelte Geschöpf die über- und auch unterirdische Produktion. Mittlerweile verweigert sich die Zwitterpflanze der modernen Landwirtschaft nicht mehr.

Den Beleg dafür, dass dies nur der Anfang war, liefert derselbe Prospekt. Er preist, ebenfalls als Neuheit, für 2,49 Euro Lycopersicon esculentum in der Version als Reisetomate an. Sie ist, so wird versichert, "ideal zum Wandern", denn "durch ihre einzigartige Fruchtform können von dieser Tomate immer kleine Stückchen abgetrennt werden und somit portionsweise verspeist werden".

Ähnlich sollte man auch den eher grobschlächtigen Biergarten-Radi gestalten. Er muss einfach in mehreren Versionen gezüchtet werden. Denkbar wäre zum Beispiel der Zweier-Pack mit zwei leicht zu trennenden Strünken für den trauten Biergarten-Abend zu zweit oder aber die rot-weiße Variante, für die Fans des FC Bayern München.

Und warum, so fragt man sich angesichts dieser unendlichen Möglichkeiten, muss man zu Weihnachten die Äpfel umständlich aushöhlen und dann mit einem Gemisch aus Nüssen, Zucker und Rosinen füllen, das im Backofen hervorquillt und kaum vom Blech zu kriegen ist? Kann die Nuss nicht direkt im Apfel wachsen, als sein süß und nach Rosinen duftendes Gehäuse? Müsste doch eigentlich gehen.

Menschen sollte man solche Experimente selbstredend nicht zumuten, mit einer Ausnahme vielleicht. Wir erwarten nämlich, dass sich Politiker an der Tomtato ein Beispiel nehmen. So wie diese uns mit roten Früchtchen lockt und später mit Kartoffeln noch einen draufsetzt, sollten auch unsere Volksvertreter uns nicht länger im Wahlkampf das Blaue vom Himmel versprechen. Nachdem wir sie in Amt und Würden gewählt haben, erwarten wir, die Früchte ihrer Arbeit auch tatsächlich vorgelegt zu bekommen - nach einem Reifeprozess von überschaubarer Dauer.

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