Mitten im Landkreis:Von wegen das letzte Einhorn

Tiere verschwinden langsam, andere vermehren sich. Aber hilft das dem Artenschutz?

Von Walter Gierlich

Wer kennt heute noch Hydropsyche tobiasi? Wohl bestenfalls erfahrene Entomologen, wie Insektenforscher im Wissenschaftsjargon heißen. Schließlich wurden die letzten Exemplare der Tobias-Köcherfliege 1938 am Rhein gesichtet. Nicht ganz so lange liegt es zurück, dass der Liedermacher Reinhard Mey in einem bekannten Lied sang: "Es gibt keine Maikäfer mehr". 1974 war das.

Und vor einigen Wochen konnte man eine wahre Schreckensmeldung lesen: Das Vorkommen der Insekten sei seit dem Jahr 1982 um bis zu 80 Prozent zurückgegangen. Die Zahl mag zwar unter besagten Entomologen heftig umstritten sein, aber dass es im Frühjahr und Sommer in der Luft weniger summt und brummt, kann wohl jeder Autofahrer bestätigen. Wer beispielsweise vor zwei oder drei Jahrzehnten mit seinem Wagen über eine längere Strecke unterwegs war, der hatte anschließend schwer zu tun, die Windschutzscheibe von all den Mücken-, Fliegen-, Bienen- oder Schmetterlingsleichen freizubekommen. Und wer sich in diesem August auf dem Balkon oder der Terrasse an einem Zwetschgendatschi delektieren will, wird merken, dass er sich längst nicht so sehr vor Wespen in Acht nehmen muss wie noch vor wenigen Jahren. So hat selbst der Artenschwund seine Vorteile.

Die seltene Helm-Azurjungfer, eine Libellenart, die in Bayern vor allem im Raum Dachau und Karlsfeld vorkommt, ist sogar vom Aussterben bedroht. Mancher Politiker oder Straßenbauer mag sich das sogar wünschen, bereiten die kleinen, eher unscheinbaren blauen Flieger den Planern einer potenziellen Dachauer Ostumfahrung doch erhebliches Kopfzerbrechen. Sie müssen wegen der bedrohten Art, die auf der Roten Liste steht, über teure Brückenbauwerke nachdenken, um deren Lebensraum an Wasserläufen wie dem Schleißheimer Kanal, dem Tiefen Graben oder dem Saubach möglichst unangetastet zu erhalten.

Doch der vielfach bejammerte Schwund ist nur die eine Seite. Die andere ist eine enorme Zunahme an Arten, sogar an solchen, die bisher in Mitteleuropa äußerst rar waren. Man muss an einem heißen Sommertag nur einen Blick auf die Badeseen im Landkreis werfen. Da darf sich der Erholungssuchende staunend an einer alljährlich wachsenden Zahl von Delfinen, Haien und Krokodilen erfreuen. Und heuer lässt sich eine ganz spezielle, offenbar neu zugewanderte Spezies entdecken: märchenhaft schöne Einhörner. Nur für den Artenschutz bringen sie wenig, sind sie doch alle miteinander aus Plastik und mit Luft gefüllt.

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