Mitten im Landkreis:Die schöne Zeit der Servicewüste

Lesezeit: 1 min

Warum es früher viel entspannender war, auf der Terrasse eines Ausflugslokals Kaffee zwar nur im Kännchen zu bekommen - aber serviert von einer netten Bedienung

Von Walter Gierlich

Lang ist es her, dass Deutschland als "Servicewüste" bezeichnet wurde. Damals galt die Bundesrepublik noch als Industrieland, die Marktwirtschaft war sozial und das Wort Reformen hatte einen positiven Klang. Es verbreitete nicht Angst und Schrecken unter der Bevölkerung. Heute, da wir in einer Dienstleistungsgesellschaft leben, erinnern sich bestenfalls die Älteren an jene Zeit, als es auf der Terrasse des Ausflugslokals Kaffee nur in Kännchen zur Schwarzwälder Kirschtorte gab oder als in der alten Beamtenpost nur zwei von drei Schaltern geöffnet waren und sich daher Schlangen von vier bis fünf Personen bildeten.

Diese Zeiten sind vorbei. Der alte Beamtenschlendrian ist dank Privatisierung Vergangenheit. Auf der Post in Dachau muss an manchen Tagen niemand mehr warten, weil sie wegen Personalmangels oder Betriebsversammlung gleich ganz geschlossen ist. Seit die Deutsche Bahn in neuer Rechtsform geführt wird und in Konkurrenz zu rein privaten Unternehmen steht, ist auch endlich Schluss damit, dass sich ausländische Besucher für ihre Heimatländer genieren müssen, weil hier bei uns die Züge pünktlich fahren. Und wer etwa täglich die S 2 nutzt, der kann ein Lied davon singen, wie oft in den Stoßzeiten der Zehn-Minuten-Takt gestrichen wird. Und anders als in der schlechten Zeit, als man darüber nicht informiert wurde, kann man sich solche Nachrichten jetzt direkt aufs Smartphone schicken lassen. Man wartet also nicht mehr unwissend.

Verbessert hat sich auch der Service der Paketdienste. Früher, als die Bundespost noch ein Monopol zur Auslieferung hatte, kam der Bote irgendwann im Laufe des Tages, vorzugsweise wenn niemand daheim war. Heute läutet es schon mal nach 20 Uhr, wenn man gerade die Tagesschau ansehen will. Draußen steht ein junger Mann, um eine Bestellung für die abwesenden Nachbarn abzugeben. Oder ein Päckchen für einen selbst. Dann kann es, wie jüngst in Karlsfeld, schon passieren, dass man den Verpackungsmüll loswerden will, aber nicht so einfach kann. Weil die Tonne am späten Abend noch immer draußen an der Straße steht, wo man sie selbst hinrollen musste. So wie uns unsere Dienstleistungsgesellschaft beigebracht hat, das Auto selbst zu betanken, den Flugschein selbst auszudrucken und sich im Ausflugslokal den Kaffee selbst an der Theke zu holen. Dann doch lieber nur ein Kännchen Kaffee kriegen, das aber von einer netten Bedienung serviert wird.

© SZ vom 26.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: